wie die nassen Gewänder der Alten den Kör- per durchschimmern ließen. Dies geht so weit, daß, wie ich glaube, die dem Verfasser bisweilen mühsam gewordene Denkart im- mer durchblickt; er mag sie so sehr mit Blu- men bestreuen, als er will. Aber eben dies verbürgt auch die Treue, mit der er seine Seele entdeckt: und die in den Materien, worinn er schreibt, und in unserer Zeit ein seltenes Muster ist. Vielleicht gelingt es Spalding, gesunden Menschenverstand in den Kanzelvortrag zu bringen, der das Mit- tel zwischen gelehrter Weisheit und unver- ständlicher Wortkrämerei hält, der den Jü- dischen und gelehrten Griechischen Ton mit ei- nerlei Vorsicht vermeidet, der die Kanzel er- niedrigt, aber weder zum Mosaischen Stuhl eines Rabbi, noch zu einem Philosophischen Catheder -- zu dem Rednersorte eines Freundes, eines Vertrauten, eines Seelen- sorgers. Vielleicht wird es ihm gelingen, in die Theologie ein Denken einzuführen, das eben so wenig Deismus und Freigeisterei, als nachgebetete Formel ist. -- Welch ein Unterschied, wenn ich Spalding mit einem
eben-
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wie die naſſen Gewaͤnder der Alten den Koͤr- per durchſchimmern ließen. Dies geht ſo weit, daß, wie ich glaube, die dem Verfaſſer bisweilen muͤhſam gewordene Denkart im- mer durchblickt; er mag ſie ſo ſehr mit Blu- men beſtreuen, als er will. Aber eben dies verbuͤrgt auch die Treue, mit der er ſeine Seele entdeckt: und die in den Materien, worinn er ſchreibt, und in unſerer Zeit ein ſeltenes Muſter iſt. Vielleicht gelingt es Spalding, geſunden Menſchenverſtand in den Kanzelvortrag zu bringen, der das Mit- tel zwiſchen gelehrter Weisheit und unver- ſtaͤndlicher Wortkraͤmerei haͤlt, der den Juͤ- diſchen und gelehrten Griechiſchen Ton mit ei- nerlei Vorſicht vermeidet, der die Kanzel er- niedrigt, aber weder zum Moſaiſchen Stuhl eines Rabbi, noch zu einem Philoſophiſchen Catheder — zu dem Rednersorte eines Freundes, eines Vertrauten, eines Seelen- ſorgers. Vielleicht wird es ihm gelingen, in die Theologie ein Denken einzufuͤhren, das eben ſo wenig Deiſmus und Freigeiſterei, als nachgebetete Formel iſt. — Welch ein Unterſchied, wenn ich Spalding mit einem
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wie die naſſen Gewaͤnder der Alten den Koͤr-
per durchſchimmern ließen. Dies geht ſo
weit, daß, wie ich glaube, die dem Verfaſſer
bisweilen muͤhſam gewordene Denkart im-
mer durchblickt; er mag ſie ſo ſehr mit Blu-
men beſtreuen, als er will. Aber eben dies
verbuͤrgt auch die Treue, mit der er ſeine
Seele entdeckt: und die in den Materien,
worinn er ſchreibt, und in unſerer Zeit ein
ſeltenes Muſter iſt. Vielleicht gelingt es
Spalding, geſunden Menſchenverſtand in den
Kanzelvortrag zu bringen, der das Mit-
tel zwiſchen gelehrter Weisheit und unver-
ſtaͤndlicher Wortkraͤmerei haͤlt, der den Juͤ-
diſchen und gelehrten Griechiſchen Ton mit ei-
nerlei Vorſicht vermeidet, der die Kanzel er-
niedrigt, aber weder zum Moſaiſchen Stuhl
eines Rabbi, noch zu einem Philoſophiſchen
Catheder — zu dem Rednersorte eines
Freundes, eines Vertrauten, eines Seelen-
ſorgers. Vielleicht wird es ihm gelingen,
in die Theologie ein Denken einzufuͤhren, das
eben ſo wenig Deiſmus und Freigeiſterei,
als nachgebetete Formel iſt. — Welch ein
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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/157>, abgerufen am 16.02.2025.
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