angenehmer aber einem Leser, der eben so sehr Werkmann seyn will, als er leichte und ga- lante Betrachtungen anhören, gelehrte und Weltübliche Anspielungen verstehen, und den ganzen Zuschnitt bis auf die kleinste Nuance Hofmäßig bemerken kann. Cäsar trug be- ständig das Bild der Venus bei sich, deren Sohn, ein zweiter Aeneas! er seyn wollte: sie war nach Römischem Geschmack bewafnet; aber die Griechische Venus, wenn sie die Pal- las überwinden will, ist nackt, und mit den Zier- rathen ihrer irdischen Schwester nicht be- harnischt. So kann auch ein Verfasser der Sohn der irrdischen bekleideten Schönheit seyn, bei der man von dem schönen Gewande auf das darunter Verhüllte, und von dem schönen Anstande auf die Seele schließt; allein viel- leicht würde ein Proxenides über sein Kunst- stück urtheilen: führe diesen Paris in die Eleusinischen Heiligthümer, daß er die Schön- heit nackt erblicke, und nackt sage. Jndes- sen wer kann so genau die Gränze finden, daß der Fleiß nicht Mühsamkeit verriethe, der Geschmack sich nicht manchmal mit einem kleinen schönen Eigensinn paarete, und der
Un-
K 2
angenehmer aber einem Leſer, der eben ſo ſehr Werkmann ſeyn will, als er leichte und ga- lante Betrachtungen anhoͤren, gelehrte und Weltuͤbliche Anſpielungen verſtehen, und den ganzen Zuſchnitt bis auf die kleinſte Nuance Hofmaͤßig bemerken kann. Caͤſar trug be- ſtaͤndig das Bild der Venus bei ſich, deren Sohn, ein zweiter Aeneas! er ſeyn wollte: ſie war nach Roͤmiſchem Geſchmack bewafnet; aber die Griechiſche Venus, wenn ſie die Pal- las uͤberwinden will, iſt nackt, und mit den Zier- rathen ihrer irdiſchen Schweſter nicht be- harniſcht. So kann auch ein Verfaſſer der Sohn der irrdiſchen bekleideten Schoͤnheit ſeyn, bei der man von dem ſchoͤnen Gewande auf das darunter Verhuͤllte, und von dem ſchoͤnen Anſtande auf die Seele ſchließt; allein viel- leicht wuͤrde ein Proxenides uͤber ſein Kunſt- ſtuͤck urtheilen: fuͤhre dieſen Paris in die Eleuſiniſchen Heiligthuͤmer, daß er die Schoͤn- heit nackt erblicke, und nackt ſage. Jndeſ- ſen wer kann ſo genau die Graͤnze finden, daß der Fleiß nicht Muͤhſamkeit verriethe, der Geſchmack ſich nicht manchmal mit einem kleinen ſchoͤnen Eigenſinn paarete, und der
Un-
K 2
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0151"n="147"/>
angenehmer aber einem Leſer, der eben ſo ſehr<lb/>
Werkmann ſeyn will, als er leichte und ga-<lb/>
lante Betrachtungen anhoͤren, gelehrte und<lb/>
Weltuͤbliche Anſpielungen verſtehen, und den<lb/>
ganzen Zuſchnitt bis auf die kleinſte Nuance<lb/>
Hofmaͤßig bemerken kann. Caͤſar trug be-<lb/>ſtaͤndig das Bild der Venus bei ſich, deren<lb/>
Sohn, ein zweiter Aeneas! er ſeyn wollte:<lb/>ſie war nach Roͤmiſchem Geſchmack bewafnet;<lb/>
aber die Griechiſche Venus, wenn ſie die Pal-<lb/>
las uͤberwinden will, iſt nackt, und mit den Zier-<lb/>
rathen ihrer irdiſchen Schweſter nicht be-<lb/>
harniſcht. So kann auch ein Verfaſſer der<lb/>
Sohn der irrdiſchen bekleideten Schoͤnheit ſeyn,<lb/>
bei der man von dem ſchoͤnen Gewande auf das<lb/>
darunter Verhuͤllte, und von dem ſchoͤnen<lb/>
Anſtande auf die Seele ſchließt; allein viel-<lb/>
leicht wuͤrde ein Proxenides uͤber ſein <hirendition="#fr">Kunſt-<lb/>ſtuͤck</hi> urtheilen: fuͤhre dieſen Paris in die<lb/>
Eleuſiniſchen Heiligthuͤmer, daß er die Schoͤn-<lb/>
heit <hirendition="#fr">nackt</hi> erblicke, und nackt <hirendition="#fr">ſage.</hi> Jndeſ-<lb/>ſen wer kann ſo genau die Graͤnze finden, daß<lb/>
der Fleiß nicht Muͤhſamkeit verriethe, der<lb/>
Geſchmack ſich nicht manchmal mit einem<lb/>
kleinen ſchoͤnen Eigenſinn paarete, und der<lb/><fwplace="bottom"type="sig">K 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">Un-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[147/0151]
angenehmer aber einem Leſer, der eben ſo ſehr
Werkmann ſeyn will, als er leichte und ga-
lante Betrachtungen anhoͤren, gelehrte und
Weltuͤbliche Anſpielungen verſtehen, und den
ganzen Zuſchnitt bis auf die kleinſte Nuance
Hofmaͤßig bemerken kann. Caͤſar trug be-
ſtaͤndig das Bild der Venus bei ſich, deren
Sohn, ein zweiter Aeneas! er ſeyn wollte:
ſie war nach Roͤmiſchem Geſchmack bewafnet;
aber die Griechiſche Venus, wenn ſie die Pal-
las uͤberwinden will, iſt nackt, und mit den Zier-
rathen ihrer irdiſchen Schweſter nicht be-
harniſcht. So kann auch ein Verfaſſer der
Sohn der irrdiſchen bekleideten Schoͤnheit ſeyn,
bei der man von dem ſchoͤnen Gewande auf das
darunter Verhuͤllte, und von dem ſchoͤnen
Anſtande auf die Seele ſchließt; allein viel-
leicht wuͤrde ein Proxenides uͤber ſein Kunſt-
ſtuͤck urtheilen: fuͤhre dieſen Paris in die
Eleuſiniſchen Heiligthuͤmer, daß er die Schoͤn-
heit nackt erblicke, und nackt ſage. Jndeſ-
ſen wer kann ſo genau die Graͤnze finden, daß
der Fleiß nicht Muͤhſamkeit verriethe, der
Geſchmack ſich nicht manchmal mit einem
kleinen ſchoͤnen Eigenſinn paarete, und der
Un-
K 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/151>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.