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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

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aus Philosophische Sprache haben, die blos
für die Weltweisheit erfunden wäre: so nehmt
die, die am meisten zur Weltweisheit ge-
braucht wird, die Lateinische, nehmt sie, wie sie
in den Büchern der Weltweisheit ist, wenn
sie Lehrsäzze und trockene Beweise vorträgt;
wie ist sie? ohne Jnversionen meistentheils.

Nun stellet euch zwei sinnliche Geschöpfe
vor, davon der eine spricht, der andre höret:
Dem ersten ist das Auge die Quelle seiner
Begriffe; und jeden Gegenstand kann er in
verschiedenen Gesichtspunkten sehen; dem
andern zeiget er diesen Gegenstand, und es kann
auf eben so verschiedenen Seiten geschehen.
Nun betrachtet die Rede, als ein Zeichen die-
ser Gegenstände: so habt ihr den Ursprung
der Jnversionen. Je mehr sich also die Auf-
merksamkeit, die Empfindung, der Affekt auf
einen Augenpunkt heftet; je mehr will er dem
andern auch eben diese Seite zeigen, am er-
sten
zeigen, im hellesten Lichte zeigen -- und
dies ist der Ursprung der Jnversionen. Ein
Beispiel: Fleuch die Schlange! ruft mir
jemand zu, der mein fliehen zu seinem Haupt-
augenmerk hat, wenn ich nicht fliehen wollte. --

Die
G

aus Philoſophiſche Sprache haben, die blos
fuͤr die Weltweisheit erfunden waͤre: ſo nehmt
die, die am meiſten zur Weltweisheit ge-
braucht wird, die Lateiniſche, nehmt ſie, wie ſie
in den Buͤchern der Weltweisheit iſt, wenn
ſie Lehrſaͤzze und trockene Beweiſe vortraͤgt;
wie iſt ſie? ohne Jnverſionen meiſtentheils.

Nun ſtellet euch zwei ſinnliche Geſchoͤpfe
vor, davon der eine ſpricht, der andre hoͤret:
Dem erſten iſt das Auge die Quelle ſeiner
Begriffe; und jeden Gegenſtand kann er in
verſchiedenen Geſichtspunkten ſehen; dem
andern zeiget er dieſen Gegenſtand, und es kann
auf eben ſo verſchiedenen Seiten geſchehen.
Nun betrachtet die Rede, als ein Zeichen die-
ſer Gegenſtaͤnde: ſo habt ihr den Urſprung
der Jnverſionen. Je mehr ſich alſo die Auf-
merkſamkeit, die Empfindung, der Affekt auf
einen Augenpunkt heftet; je mehr will er dem
andern auch eben dieſe Seite zeigen, am er-
ſten
zeigen, im helleſten Lichte zeigen — und
dies iſt der Urſprung der Jnverſionen. Ein
Beiſpiel: Fleuch die Schlange! ruft mir
jemand zu, der mein fliehen zu ſeinem Haupt-
augenmerk hat, wenn ich nicht fliehen wollte. —

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[97/0101] aus Philoſophiſche Sprache haben, die blos fuͤr die Weltweisheit erfunden waͤre: ſo nehmt die, die am meiſten zur Weltweisheit ge- braucht wird, die Lateiniſche, nehmt ſie, wie ſie in den Buͤchern der Weltweisheit iſt, wenn ſie Lehrſaͤzze und trockene Beweiſe vortraͤgt; wie iſt ſie? ohne Jnverſionen meiſtentheils. Nun ſtellet euch zwei ſinnliche Geſchoͤpfe vor, davon der eine ſpricht, der andre hoͤret: Dem erſten iſt das Auge die Quelle ſeiner Begriffe; und jeden Gegenſtand kann er in verſchiedenen Geſichtspunkten ſehen; dem andern zeiget er dieſen Gegenſtand, und es kann auf eben ſo verſchiedenen Seiten geſchehen. Nun betrachtet die Rede, als ein Zeichen die- ſer Gegenſtaͤnde: ſo habt ihr den Urſprung der Jnverſionen. Je mehr ſich alſo die Auf- merkſamkeit, die Empfindung, der Affekt auf einen Augenpunkt heftet; je mehr will er dem andern auch eben dieſe Seite zeigen, am er- ſten zeigen, im helleſten Lichte zeigen — und dies iſt der Urſprung der Jnverſionen. Ein Beiſpiel: Fleuch die Schlange! ruft mir jemand zu, der mein fliehen zu ſeinem Haupt- augenmerk hat, wenn ich nicht fliehen wollte. — Die G

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/101>, abgerufen am 24.11.2024.