Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 3. Riga, 1769.Kritische Wälder. Deutschland in die Geschichte eines andern Landesrechtlich, und dazu kirchlich verwickelt gewesen, und eine rechtlich - kirchliche Verwicklung ist für Deutschland nach seiner Verfassung, und für einen Geschichtschreiber, der dieser Verfassung folgen will, die größre Verwicklung. Dies Land ist Jtalien. Pfaffen waren die Bekehrer der Deutschen zum Pabst, und diese Päbstlichen Apostel, vom heil. Bonifacius an, wurden die ersten Reichsfürsten: Pfaffen und Bischöfe wurden die ersten Reichsstände und Freiherrlichkeiten: die ersten kleinen Souverai- nen und Friedensstörer. Nicht blos also daher, daß Deutschland gleich von seiner ersten Formung vor andern eine sehr kirchliche Gestalt bekam, son- dern auch, daß lange nachher seine Kriege so oft nahe an Pfaffenstreitigkeiten und Bischofsvorzüge gränzten. Und da diese Rang- und Rechtsgeistli- che zwei Häupter hatten, eins in, und eins außer Deutschland: wie anders, als daß daher der Mit- telpunkt deutscher Thaten und Geschichte so lange und oft außer Deutschland fällt, nach Jtalien, nach Rom hin -- eine neue Quelle historischer Ver- wirrungen! Und wie anders, als da diese Päb- stisch- Jtalienisch- Deutschen- Geschichte so lange und oft wieder nichts als Rang - Kirchen - und Rechts- streitigkeiten enthalten, diese die trockensten, ver- wickeltsten, und oft eckelhaft seyn müssen? Und doch müssen sie es seyn. Und doch ist eben diese Ent-
Kritiſche Waͤlder. Deutſchland in die Geſchichte eines andern Landesrechtlich, und dazu kirchlich verwickelt geweſen, und eine rechtlich - kirchliche Verwicklung iſt fuͤr Deutſchland nach ſeiner Verfaſſung, und fuͤr einen Geſchichtſchreiber, der dieſer Verfaſſung folgen will, die groͤßre Verwicklung. Dies Land iſt Jtalien. Pfaffen waren die Bekehrer der Deutſchen zum Pabſt, und dieſe Paͤbſtlichen Apoſtel, vom heil. Bonifacius an, wurden die erſten Reichsfuͤrſten: Pfaffen und Biſchoͤfe wurden die erſten Reichsſtaͤnde und Freiherrlichkeiten: die erſten kleinen Souverai- nen und Friedensſtoͤrer. Nicht blos alſo daher, daß Deutſchland gleich von ſeiner erſten Formung vor andern eine ſehr kirchliche Geſtalt bekam, ſon- dern auch, daß lange nachher ſeine Kriege ſo oft nahe an Pfaffenſtreitigkeiten und Biſchofsvorzuͤge graͤnzten. Und da dieſe Rang- und Rechtsgeiſtli- che zwei Haͤupter hatten, eins in, und eins außer Deutſchland: wie anders, als daß daher der Mit- telpunkt deutſcher Thaten und Geſchichte ſo lange und oft außer Deutſchland faͤllt, nach Jtalien, nach Rom hin — eine neue Quelle hiſtoriſcher Ver- wirrungen! Und wie anders, als da dieſe Paͤb- ſtiſch- Jtalieniſch- Deutſchen- Geſchichte ſo lange und oft wieder nichts als Rang - Kirchen - und Rechts- ſtreitigkeiten enthalten, dieſe die trockenſten, ver- wickeltſten, und oft eckelhaft ſeyn muͤſſen? Und doch muͤſſen ſie es ſeyn. Und doch iſt eben dieſe Ent-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0174" n="168"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Kritiſche Waͤlder.</hi></fw><lb/> Deutſchland in die Geſchichte eines andern Landes<lb/><hi rendition="#fr">rechtlich,</hi> und dazu kirchlich verwickelt geweſen,<lb/> und eine rechtlich - kirchliche Verwicklung iſt fuͤr<lb/> Deutſchland nach ſeiner Verfaſſung, und fuͤr einen<lb/> Geſchichtſchreiber, der dieſer Verfaſſung folgen will,<lb/> die groͤßre Verwicklung. Dies Land iſt Jtalien.<lb/> Pfaffen waren die Bekehrer der Deutſchen zum<lb/> Pabſt, und dieſe Paͤbſtlichen Apoſtel, vom heil.<lb/> Bonifacius an, wurden die erſten Reichsfuͤrſten:<lb/> Pfaffen und Biſchoͤfe wurden die erſten Reichsſtaͤnde<lb/> und Freiherrlichkeiten: die erſten kleinen Souverai-<lb/> nen und Friedensſtoͤrer. Nicht blos alſo daher,<lb/> daß Deutſchland gleich von ſeiner erſten Formung<lb/> vor andern eine ſehr kirchliche Geſtalt bekam, ſon-<lb/> dern auch, daß lange nachher ſeine Kriege ſo oft<lb/> nahe an Pfaffenſtreitigkeiten und Biſchofsvorzuͤge<lb/> graͤnzten. Und da dieſe Rang- und Rechtsgeiſtli-<lb/> che zwei Haͤupter hatten, eins in, und eins außer<lb/> Deutſchland: wie anders, als daß daher der Mit-<lb/> telpunkt deutſcher Thaten und Geſchichte ſo lange<lb/> und oft außer Deutſchland faͤllt, nach Jtalien,<lb/> nach Rom hin — eine neue Quelle hiſtoriſcher Ver-<lb/> wirrungen! Und wie anders, als da dieſe Paͤb-<lb/> ſtiſch- Jtalieniſch- Deutſchen- Geſchichte ſo lange und<lb/> oft wieder nichts als Rang - Kirchen - und Rechts-<lb/> ſtreitigkeiten enthalten, dieſe die trockenſten, ver-<lb/> wickeltſten, und oft eckelhaft ſeyn <hi rendition="#fr">muͤſſen?</hi> Und<lb/> doch <hi rendition="#fr">muͤſſen</hi> ſie es ſeyn. Und doch iſt eben dieſe<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Ent-</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [168/0174]
Kritiſche Waͤlder.
Deutſchland in die Geſchichte eines andern Landes
rechtlich, und dazu kirchlich verwickelt geweſen,
und eine rechtlich - kirchliche Verwicklung iſt fuͤr
Deutſchland nach ſeiner Verfaſſung, und fuͤr einen
Geſchichtſchreiber, der dieſer Verfaſſung folgen will,
die groͤßre Verwicklung. Dies Land iſt Jtalien.
Pfaffen waren die Bekehrer der Deutſchen zum
Pabſt, und dieſe Paͤbſtlichen Apoſtel, vom heil.
Bonifacius an, wurden die erſten Reichsfuͤrſten:
Pfaffen und Biſchoͤfe wurden die erſten Reichsſtaͤnde
und Freiherrlichkeiten: die erſten kleinen Souverai-
nen und Friedensſtoͤrer. Nicht blos alſo daher,
daß Deutſchland gleich von ſeiner erſten Formung
vor andern eine ſehr kirchliche Geſtalt bekam, ſon-
dern auch, daß lange nachher ſeine Kriege ſo oft
nahe an Pfaffenſtreitigkeiten und Biſchofsvorzuͤge
graͤnzten. Und da dieſe Rang- und Rechtsgeiſtli-
che zwei Haͤupter hatten, eins in, und eins außer
Deutſchland: wie anders, als daß daher der Mit-
telpunkt deutſcher Thaten und Geſchichte ſo lange
und oft außer Deutſchland faͤllt, nach Jtalien,
nach Rom hin — eine neue Quelle hiſtoriſcher Ver-
wirrungen! Und wie anders, als da dieſe Paͤb-
ſtiſch- Jtalieniſch- Deutſchen- Geſchichte ſo lange und
oft wieder nichts als Rang - Kirchen - und Rechts-
ſtreitigkeiten enthalten, dieſe die trockenſten, ver-
wickeltſten, und oft eckelhaft ſeyn muͤſſen? Und
doch muͤſſen ſie es ſeyn. Und doch iſt eben dieſe
Ent-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |