Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 3. Riga, 1769.Kritische Wälder. aus Münzen unsichrer. Es ist keine Hypothese,es ist eine von den Kennern der mittlern Zeit längst angenommene Sache, daß die Reformation der Wissenschaften wahrhaftig nicht mit einmal los- gebrochen: sondern lange im Stillen genähert, ge- wachsen, gereift sey. Und eben dieser Fortgang des stillen Wachsthums ist der auf Münzen be- merkbar? Galt hier nicht einmal für alle Herkom- men, Nationalgeschmack, der bleierne Druck des Zeitgeistes? unter diesem konnte nicht immer viel reifender guter Geschmack liegen, der sich nur nicht äußern dorfte, und am wenigsten ja auf Mün- zen zuerst äußern konnte? galt wohl auf diesen et- was mehr, als Herkommen, das Joch des Jahr- hunderts? Wie viel verliere ich aber in einer Ge- schichte des Geschmacks, wo ich diese reifenden, ausbrechenden Saamenkörner verliere? Wie oft kann ich irren? Wie oft auf das Ganze unzuver- läßig schliessen? Endlich die neuere Münzgeschichte, und eben Nach-
Kritiſche Waͤlder. aus Muͤnzen unſichrer. Es iſt keine Hypotheſe,es iſt eine von den Kennern der mittlern Zeit laͤngſt angenommene Sache, daß die Reformation der Wiſſenſchaften wahrhaftig nicht mit einmal los- gebrochen: ſondern lange im Stillen genaͤhert, ge- wachſen, gereift ſey. Und eben dieſer Fortgang des ſtillen Wachsthums iſt der auf Muͤnzen be- merkbar? Galt hier nicht einmal fuͤr alle Herkom- men, Nationalgeſchmack, der bleierne Druck des Zeitgeiſtes? unter dieſem konnte nicht immer viel reifender guter Geſchmack liegen, der ſich nur nicht aͤußern dorfte, und am wenigſten ja auf Muͤn- zen zuerſt aͤußern konnte? galt wohl auf dieſen et- was mehr, als Herkommen, das Joch des Jahr- hunderts? Wie viel verliere ich aber in einer Ge- ſchichte des Geſchmacks, wo ich dieſe reifenden, ausbrechenden Saamenkoͤrner verliere? Wie oft kann ich irren? Wie oft auf das Ganze unzuver- laͤßig ſchlieſſen? Endlich die neuere Muͤnzgeſchichte, und eben Nach-
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Kritiſche Waͤlder.
aus Muͤnzen unſichrer. Es iſt keine Hypotheſe,
es iſt eine von den Kennern der mittlern Zeit
laͤngſt angenommene Sache, daß die Reformation
der Wiſſenſchaften wahrhaftig nicht mit einmal los-
gebrochen: ſondern lange im Stillen genaͤhert, ge-
wachſen, gereift ſey. Und eben dieſer Fortgang
des ſtillen Wachsthums iſt der auf Muͤnzen be-
merkbar? Galt hier nicht einmal fuͤr alle Herkom-
men, Nationalgeſchmack, der bleierne Druck des
Zeitgeiſtes? unter dieſem konnte nicht immer viel
reifender guter Geſchmack liegen, der ſich nur
nicht aͤußern dorfte, und am wenigſten ja auf Muͤn-
zen zuerſt aͤußern konnte? galt wohl auf dieſen et-
was mehr, als Herkommen, das Joch des Jahr-
hunderts? Wie viel verliere ich aber in einer Ge-
ſchichte des Geſchmacks, wo ich dieſe reifenden,
ausbrechenden Saamenkoͤrner verliere? Wie oft
kann ich irren? Wie oft auf das Ganze unzuver-
laͤßig ſchlieſſen?
Endlich die neuere Muͤnzgeſchichte, und eben
ſie iſt die unzuverlaͤßigſte auf einer Geſchichte des
Geſchmacks und der Kuͤnſte bei ganzen Voͤlkern
und Zeiten. Jn dieſen iſt die ganze ſchoͤnere Nu-
miſinatik ein Zweig Griechiſcher und Roͤmiſcher
Zeiten, in die Geſchichte des damaligen Zeitge-
ſchmacks eingepfropfet; nichts weniger aber, als
ein im Boden des Jahrhunderts ſelbſtgewachſener
Stamm. Bilderſchrift, Sprache und Kunſt iſt
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