Die Zeit der so genannten Gothischen Mün- zen. Daß ihre Urheber keine Griechen und Rö- mer weder an Geschmack, noch an Kunst, noch an irgend Etwas gewesen: das sieht der Blinde; ja es lassen sich die Ursachen so gar einsehen, war- um sie nicht das Eine, nicht das Andre, haben seyn können? Es läßt sich so gar der falsche Geschmack, der diese Völker angefüllt, nach seinem Ursprunge und Geschichte berechnen; und ob ich gleich kein Polykarp Lyser bin: so wünschte ich diesen Zeiten einen solchen Berechner, aber einen, der sich vor dem Namen der Barbarei nicht scheue, noch dies Wort so überhin nehme, als wir gemeiniglich im Zeitlaufe der Geschichte, wenn wir aus Griechen und Römern, voll von ihrem Geschmacke, kom- men, hinzuwerfen pflegen. Ein Erklärer ist mehr als Tadler; und der muß er seyn, weil unser Erbge- schmack alle sein gutes Herkommen von daraus ableitet.
Wieder also ein Beitrag zur Geschichte des Geschmacks und der Kunst? Jmmer ja! da die- sem Zeitpunkte aber sein Geschmack und seine Kunst nicht so ganz eigenthümlich, da die Litteratur die- ser Völker so verdorben, als sie sey, ursprüng- lich eine fremde Colonie ist, die sich im Stillen mehr oder weniger ausgebreitet haben kann: so wird, nach Maaß dieser Ausbreitung, in eben dem Maaße auch eine Geschichte des Geschmacks und der Kunst
aus
Drittes Waͤldchen.
Die Zeit der ſo genannten Gothiſchen Muͤn- zen. Daß ihre Urheber keine Griechen und Roͤ- mer weder an Geſchmack, noch an Kunſt, noch an irgend Etwas geweſen: das ſieht der Blinde; ja es laſſen ſich die Urſachen ſo gar einſehen, war- um ſie nicht das Eine, nicht das Andre, haben ſeyn koͤnnen? Es laͤßt ſich ſo gar der falſche Geſchmack, der dieſe Voͤlker angefuͤllt, nach ſeinem Urſprunge und Geſchichte berechnen; und ob ich gleich kein Polykarp Lyſer bin: ſo wuͤnſchte ich dieſen Zeiten einen ſolchen Berechner, aber einen, der ſich vor dem Namen der Barbarei nicht ſcheue, noch dies Wort ſo uͤberhin nehme, als wir gemeiniglich im Zeitlaufe der Geſchichte, wenn wir aus Griechen und Roͤmern, voll von ihrem Geſchmacke, kom- men, hinzuwerfen pflegen. Ein Erklaͤrer iſt mehr als Tadler; und der muß er ſeyn, weil unſer Erbge- ſchmack alle ſein gutes Herkommen von daraus ableitet.
Wieder alſo ein Beitrag zur Geſchichte des Geſchmacks und der Kunſt? Jmmer ja! da die- ſem Zeitpunkte aber ſein Geſchmack und ſeine Kunſt nicht ſo ganz eigenthuͤmlich, da die Litteratur die- ſer Voͤlker ſo verdorben, als ſie ſey, urſpruͤng- lich eine fremde Colonie iſt, die ſich im Stillen mehr oder weniger ausgebreitet haben kann: ſo wird, nach Maaß dieſer Ausbreitung, in eben dem Maaße auch eine Geſchichte des Geſchmacks und der Kunſt
aus
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Drittes Waͤldchen.
Die Zeit der ſo genannten Gothiſchen Muͤn-
zen. Daß ihre Urheber keine Griechen und Roͤ-
mer weder an Geſchmack, noch an Kunſt, noch
an irgend Etwas geweſen: das ſieht der Blinde;
ja es laſſen ſich die Urſachen ſo gar einſehen, war-
um ſie nicht das Eine, nicht das Andre, haben ſeyn
koͤnnen? Es laͤßt ſich ſo gar der falſche Geſchmack,
der dieſe Voͤlker angefuͤllt, nach ſeinem Urſprunge
und Geſchichte berechnen; und ob ich gleich kein
Polykarp Lyſer bin: ſo wuͤnſchte ich dieſen Zeiten
einen ſolchen Berechner, aber einen, der ſich vor
dem Namen der Barbarei nicht ſcheue, noch dies
Wort ſo uͤberhin nehme, als wir gemeiniglich im
Zeitlaufe der Geſchichte, wenn wir aus Griechen
und Roͤmern, voll von ihrem Geſchmacke, kom-
men, hinzuwerfen pflegen. Ein Erklaͤrer iſt mehr
als Tadler; und der muß er ſeyn, weil unſer Erbge-
ſchmack alle ſein gutes Herkommen von daraus
ableitet.
Wieder alſo ein Beitrag zur Geſchichte des
Geſchmacks und der Kunſt? Jmmer ja! da die-
ſem Zeitpunkte aber ſein Geſchmack und ſeine Kunſt
nicht ſo ganz eigenthuͤmlich, da die Litteratur die-
ſer Voͤlker ſo verdorben, als ſie ſey, urſpruͤng-
lich eine fremde Colonie iſt, die ſich im Stillen mehr
oder weniger ausgebreitet haben kann: ſo wird,
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Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 3. Riga, 1769, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische03_1769/101>, abgerufen am 16.02.2025.
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