Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 3. Riga, 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Drittes Wäldchen.
Nachahmung der Alten: immerhin also eine Zeu-
ginn, daß der Urheber dieser Münze die Alten ge-
kannt und nachgeahmt; um ein Haar aber auch
nichts weiter. Ob der gnädigste Fürst, der auf
der Münze steht, und dem Urheber und Künstler
seinen guten Geschmack allergnädigst vergönnet;
ob jedermann, der diese Münze in seiner Tasche
getragen, ob das ganze Publicum, Land, Volk
und Zeit, eben den Geschmack gehabt, ist dem
ersten Anblicke nach die abentheuerlichste Folge.
Wie kunterbunt würde doch in den neuern Zeiten
die Geschichte des Geschmacks und der Künste lau-
fen, wenn hie und da ein einzelner guter Medail-
leur, ein Antiquitätenprofessor, dem eine Münzen-
allegorie und Jnschrift geräth, so gleich ein Zeuge
seyn sollte: wie sehr sein durchlauchtiger Herr den
Geschmack geliebt und gehabt, wie erleuchtet sein
Jahrhundert im Geschmack und in Künsten gewe-
sen? -- fast nichts kann mehr Mitleiden verdienen,
als diese Schlußfolge. Wie? ein um Lohn gedun-
gener geglückter oder verunglückter Münzenschmidt,
ein Schulfuchs, der seinen lieben Alten eine Alle-
gorie und Aufschrift entwenden kann -- der ein
Rüstzeug für den Geschmack und die Künste seiner
Zeit, der ein Apollo und Praxiteles seines Jahr-
hunderts an die Nachwelt? Schöner Apollo!
Ohne daß sein Jahrhundert vielleicht ihn versteht,
beurtheilt, schätzet, soll er ihren Geschmack und

Kunst-
G

Drittes Waͤldchen.
Nachahmung der Alten: immerhin alſo eine Zeu-
ginn, daß der Urheber dieſer Muͤnze die Alten ge-
kannt und nachgeahmt; um ein Haar aber auch
nichts weiter. Ob der gnaͤdigſte Fuͤrſt, der auf
der Muͤnze ſteht, und dem Urheber und Kuͤnſtler
ſeinen guten Geſchmack allergnaͤdigſt vergoͤnnet;
ob jedermann, der dieſe Muͤnze in ſeiner Taſche
getragen, ob das ganze Publicum, Land, Volk
und Zeit, eben den Geſchmack gehabt, iſt dem
erſten Anblicke nach die abentheuerlichſte Folge.
Wie kunterbunt wuͤrde doch in den neuern Zeiten
die Geſchichte des Geſchmacks und der Kuͤnſte lau-
fen, wenn hie und da ein einzelner guter Medail-
leur, ein Antiquitaͤtenprofeſſor, dem eine Muͤnzen-
allegorie und Jnſchrift geraͤth, ſo gleich ein Zeuge
ſeyn ſollte: wie ſehr ſein durchlauchtiger Herr den
Geſchmack geliebt und gehabt, wie erleuchtet ſein
Jahrhundert im Geſchmack und in Kuͤnſten gewe-
ſen? — faſt nichts kann mehr Mitleiden verdienen,
als dieſe Schlußfolge. Wie? ein um Lohn gedun-
gener gegluͤckter oder verungluͤckter Muͤnzenſchmidt,
ein Schulfuchs, der ſeinen lieben Alten eine Alle-
gorie und Aufſchrift entwenden kann — der ein
Ruͤſtzeug fuͤr den Geſchmack und die Kuͤnſte ſeiner
Zeit, der ein Apollo und Praxiteles ſeines Jahr-
hunderts an die Nachwelt? Schoͤner Apollo!
Ohne daß ſein Jahrhundert vielleicht ihn verſteht,
beurtheilt, ſchaͤtzet, ſoll er ihren Geſchmack und

Kunſt-
G
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0103" n="97"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Drittes Wa&#x0364;ldchen.</hi></fw><lb/>
Nachahmung der Alten: immerhin al&#x017F;o eine Zeu-<lb/>
ginn, daß der Urheber die&#x017F;er Mu&#x0364;nze die Alten ge-<lb/>
kannt und nachgeahmt; um ein Haar aber auch<lb/>
nichts weiter. Ob der gna&#x0364;dig&#x017F;te Fu&#x0364;r&#x017F;t, der auf<lb/>
der Mu&#x0364;nze &#x017F;teht, und dem Urheber und Ku&#x0364;n&#x017F;tler<lb/>
&#x017F;einen guten Ge&#x017F;chmack allergna&#x0364;dig&#x017F;t vergo&#x0364;nnet;<lb/>
ob jedermann, der die&#x017F;e Mu&#x0364;nze in &#x017F;einer Ta&#x017F;che<lb/>
getragen, ob das ganze Publicum, Land, Volk<lb/>
und Zeit, eben den Ge&#x017F;chmack gehabt, i&#x017F;t dem<lb/>
er&#x017F;ten Anblicke nach die abentheuerlich&#x017F;te Folge.<lb/>
Wie kunterbunt wu&#x0364;rde doch in den neuern Zeiten<lb/>
die Ge&#x017F;chichte des Ge&#x017F;chmacks und der Ku&#x0364;n&#x017F;te lau-<lb/>
fen, wenn hie und da ein einzelner guter Medail-<lb/>
leur, ein Antiquita&#x0364;tenprofe&#x017F;&#x017F;or, dem eine Mu&#x0364;nzen-<lb/>
allegorie und Jn&#x017F;chrift gera&#x0364;th, &#x017F;o gleich ein Zeuge<lb/>
&#x017F;eyn &#x017F;ollte: wie &#x017F;ehr &#x017F;ein durchlauchtiger Herr den<lb/>
Ge&#x017F;chmack geliebt und gehabt, wie erleuchtet &#x017F;ein<lb/>
Jahrhundert im Ge&#x017F;chmack und in Ku&#x0364;n&#x017F;ten gewe-<lb/>
&#x017F;en? &#x2014; fa&#x017F;t nichts kann mehr Mitleiden verdienen,<lb/>
als die&#x017F;e Schlußfolge. Wie? ein um Lohn gedun-<lb/>
gener geglu&#x0364;ckter oder verunglu&#x0364;ckter Mu&#x0364;nzen&#x017F;chmidt,<lb/>
ein Schulfuchs, der &#x017F;einen lieben Alten eine Alle-<lb/>
gorie und Auf&#x017F;chrift entwenden kann &#x2014; der ein<lb/>
Ru&#x0364;&#x017F;tzeug fu&#x0364;r den Ge&#x017F;chmack und die Ku&#x0364;n&#x017F;te &#x017F;einer<lb/>
Zeit, der ein Apollo und Praxiteles &#x017F;eines Jahr-<lb/>
hunderts an die Nachwelt? Scho&#x0364;ner Apollo!<lb/>
Ohne daß &#x017F;ein Jahrhundert vielleicht ihn ver&#x017F;teht,<lb/>
beurtheilt, &#x017F;cha&#x0364;tzet, &#x017F;oll er ihren Ge&#x017F;chmack und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">G</fw><fw place="bottom" type="catch">Kun&#x017F;t-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[97/0103] Drittes Waͤldchen. Nachahmung der Alten: immerhin alſo eine Zeu- ginn, daß der Urheber dieſer Muͤnze die Alten ge- kannt und nachgeahmt; um ein Haar aber auch nichts weiter. Ob der gnaͤdigſte Fuͤrſt, der auf der Muͤnze ſteht, und dem Urheber und Kuͤnſtler ſeinen guten Geſchmack allergnaͤdigſt vergoͤnnet; ob jedermann, der dieſe Muͤnze in ſeiner Taſche getragen, ob das ganze Publicum, Land, Volk und Zeit, eben den Geſchmack gehabt, iſt dem erſten Anblicke nach die abentheuerlichſte Folge. Wie kunterbunt wuͤrde doch in den neuern Zeiten die Geſchichte des Geſchmacks und der Kuͤnſte lau- fen, wenn hie und da ein einzelner guter Medail- leur, ein Antiquitaͤtenprofeſſor, dem eine Muͤnzen- allegorie und Jnſchrift geraͤth, ſo gleich ein Zeuge ſeyn ſollte: wie ſehr ſein durchlauchtiger Herr den Geſchmack geliebt und gehabt, wie erleuchtet ſein Jahrhundert im Geſchmack und in Kuͤnſten gewe- ſen? — faſt nichts kann mehr Mitleiden verdienen, als dieſe Schlußfolge. Wie? ein um Lohn gedun- gener gegluͤckter oder verungluͤckter Muͤnzenſchmidt, ein Schulfuchs, der ſeinen lieben Alten eine Alle- gorie und Aufſchrift entwenden kann — der ein Ruͤſtzeug fuͤr den Geſchmack und die Kuͤnſte ſeiner Zeit, der ein Apollo und Praxiteles ſeines Jahr- hunderts an die Nachwelt? Schoͤner Apollo! Ohne daß ſein Jahrhundert vielleicht ihn verſteht, beurtheilt, ſchaͤtzet, ſoll er ihren Geſchmack und Kunſt- G

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische03_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische03_1769/103
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 3. Riga, 1769, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische03_1769/103>, abgerufen am 21.11.2024.