cher Anblick gelegner, um große Gedanken zu wecken?
Zu dem: Beschreibungen der Weisheit, Macht, Majestät, sind eigentlich keine Mythologie mehr; es sind dichterische Bilder über mythologi- sche Gegenstände; mit ihnen hat also Hr. Kl. kei- nen Gebrauch der eigentlichen Götterlehre vorgeschla- gen. Dazu ist dieser Vorschlag so gemein, so be- kannt, so gebraucht --
Ja, wenn ich sagen soll, nicht einmal so hoch- nöthig. Jch gebe es gern zu, daß an Abbildun- gen der Schönheit, der Milde, und einer gewissen menschlichen Würde der Gottheit, man von Grie- chen und Römern lernen könne, insonderheit, was die schöne Kürze, das unübertrieben Prächtige, das Angemessene im Ausdrucke solcher Beschrei- bungen betrifft. Aber Weisheit, Macht, Ma- jestät, alles Hohe, und gleichsam Unbegreiflliche in der Gottheit -- darinn sind die Dichter des Morgenlandes, und die Ersten derselben, die Dich- ter des alten Bundes, eine weit reichere, unerschö- pfliche Quelle. Jn solchen Bildern sind ein Si- lius Jtalicus, Ovid, Virgil und Claudian gegen einen Hiob, Moses, Jesaias und auch David, wie ein Tropfen gegen einen Ocean: und Schande ists, an einem Tropfen zu lecken, wenn ein Abgrund von Größe, Hoheit, Majestät vor uns ist. Nur eine gefühllose kritische Seele, die hier-
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Zweites Waͤldchen.
cher Anblick gelegner, um große Gedanken zu wecken?
Zu dem: Beſchreibungen der Weisheit, Macht, Majeſtaͤt, ſind eigentlich keine Mythologie mehr; es ſind dichteriſche Bilder uͤber mythologi- ſche Gegenſtaͤnde; mit ihnen hat alſo Hr. Kl. kei- nen Gebrauch der eigentlichen Goͤtterlehre vorgeſchla- gen. Dazu iſt dieſer Vorſchlag ſo gemein, ſo be- kannt, ſo gebraucht —
Ja, wenn ich ſagen ſoll, nicht einmal ſo hoch- noͤthig. Jch gebe es gern zu, daß an Abbildun- gen der Schoͤnheit, der Milde, und einer gewiſſen menſchlichen Wuͤrde der Gottheit, man von Grie- chen und Roͤmern lernen koͤnne, inſonderheit, was die ſchoͤne Kuͤrze, das unuͤbertrieben Praͤchtige, das Angemeſſene im Ausdrucke ſolcher Beſchrei- bungen betrifft. Aber Weisheit, Macht, Ma- jeſtaͤt, alles Hohe, und gleichſam Unbegreiflliche in der Gottheit — darinn ſind die Dichter des Morgenlandes, und die Erſten derſelben, die Dich- ter des alten Bundes, eine weit reichere, unerſchoͤ- pfliche Quelle. Jn ſolchen Bildern ſind ein Si- lius Jtalicus, Ovid, Virgil und Claudian gegen einen Hiob, Moſes, Jeſaias und auch David, wie ein Tropfen gegen einen Ocean: und Schande iſts, an einem Tropfen zu lecken, wenn ein Abgrund von Groͤße, Hoheit, Majeſtaͤt vor uns iſt. Nur eine gefuͤhlloſe kritiſche Seele, die hier-
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Zweites Waͤldchen.
cher Anblick gelegner, um große Gedanken zu
wecken?
Zu dem: Beſchreibungen der Weisheit,
Macht, Majeſtaͤt, ſind eigentlich keine Mythologie
mehr; es ſind dichteriſche Bilder uͤber mythologi-
ſche Gegenſtaͤnde; mit ihnen hat alſo Hr. Kl. kei-
nen Gebrauch der eigentlichen Goͤtterlehre vorgeſchla-
gen. Dazu iſt dieſer Vorſchlag ſo gemein, ſo be-
kannt, ſo gebraucht —
Ja, wenn ich ſagen ſoll, nicht einmal ſo hoch-
noͤthig. Jch gebe es gern zu, daß an Abbildun-
gen der Schoͤnheit, der Milde, und einer gewiſſen
menſchlichen Wuͤrde der Gottheit, man von Grie-
chen und Roͤmern lernen koͤnne, inſonderheit, was
die ſchoͤne Kuͤrze, das unuͤbertrieben Praͤchtige,
das Angemeſſene im Ausdrucke ſolcher Beſchrei-
bungen betrifft. Aber Weisheit, Macht, Ma-
jeſtaͤt, alles Hohe, und gleichſam Unbegreiflliche
in der Gottheit — darinn ſind die Dichter des
Morgenlandes, und die Erſten derſelben, die Dich-
ter des alten Bundes, eine weit reichere, unerſchoͤ-
pfliche Quelle. Jn ſolchen Bildern ſind ein Si-
lius Jtalicus, Ovid, Virgil und Claudian
gegen einen Hiob, Moſes, Jeſaias und auch
David, wie ein Tropfen gegen einen Ocean: und
Schande iſts, an einem Tropfen zu lecken, wenn ein
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Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/93>, abgerufen am 16.07.2024.
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