Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Kritische Wälder.
der Schlacht gesungen zu seyn? Entweder muß
überall die Mythologie hier nicht mehr Mythologie;
eine liebe Wörterblume seyn, oder weg damit!

Jndessen will Hr. Kl. uns auch in geistlichen
Gedichten nicht ganz leer vom Nutzen der Mytholo-
gie ausgehen lassen, und schlägt vor a): "Beschrei-
"bungen der göttlichen Weisheit und Macht, hohe
"Bilder der göttlichen Majestät, oft so vortrefflich,
"so erhaben, daß man sich kaum vorstellen kann,
"wie sie in den Geist ungläubiger Sterblichen ha-
"ben kommen können, und durch deren geschickte
"Nachahmung der Poet seinem Gedichte die größe-
"ste Würde geben könnte." Der Vorschlag ist
fromm, aber auch wenig mehr. Wenn Hr- Kl.
nicht glaubt, daß Gott selbst in die Seele des christ-
lichen Poeten Bilder einschiebe, so kann ers nicht
fremde finden, daß große Geister unter den Heiden
auch große Dinge haben denken können, sie auch
von ihren Göttern denken müssen. Jch mag keine
Vergleichungen, insonderheit in Sachen, die gewis-
se Leser so gern umzukehren pflegen; allein wer wan-
delte unter edlern Bildern: der alte, oder der heuti-
ge Grieche? Jener zwischen seinen Göttern; dieser
zwischen seinen gemalten Heiligen, der Papist zwi-
schen seinen gehauenen Märtrern. Und bei wem
war (ich rede blos von poetischen Bildern) ein sol-

cher
a) Epist. Homer. p. 86.

Kritiſche Waͤlder.
der Schlacht geſungen zu ſeyn? Entweder muß
uͤberall die Mythologie hier nicht mehr Mythologie;
eine liebe Woͤrterblume ſeyn, oder weg damit!

Jndeſſen will Hr. Kl. uns auch in geiſtlichen
Gedichten nicht ganz leer vom Nutzen der Mytholo-
gie ausgehen laſſen, und ſchlaͤgt vor a): „Beſchrei-
„bungen der goͤttlichen Weisheit und Macht, hohe
„Bilder der goͤttlichen Majeſtaͤt, oft ſo vortrefflich,
„ſo erhaben, daß man ſich kaum vorſtellen kann,
„wie ſie in den Geiſt unglaͤubiger Sterblichen ha-
„ben kommen koͤnnen, und durch deren geſchickte
„Nachahmung der Poet ſeinem Gedichte die groͤße-
„ſte Wuͤrde geben koͤnnte.„ Der Vorſchlag iſt
fromm, aber auch wenig mehr. Wenn Hr- Kl.
nicht glaubt, daß Gott ſelbſt in die Seele des chriſt-
lichen Poeten Bilder einſchiebe, ſo kann ers nicht
fremde finden, daß große Geiſter unter den Heiden
auch große Dinge haben denken koͤnnen, ſie auch
von ihren Goͤttern denken muͤſſen. Jch mag keine
Vergleichungen, inſonderheit in Sachen, die gewiſ-
ſe Leſer ſo gern umzukehren pflegen; allein wer wan-
delte unter edlern Bildern: der alte, oder der heuti-
ge Grieche? Jener zwiſchen ſeinen Goͤttern; dieſer
zwiſchen ſeinen gemalten Heiligen, der Papiſt zwi-
ſchen ſeinen gehauenen Maͤrtrern. Und bei wem
war (ich rede blos von poetiſchen Bildern) ein ſol-

cher
a) Epiſt. Homer. p. 86.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0092" n="86"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Kriti&#x017F;che Wa&#x0364;lder.</hi></fw><lb/>
der Schlacht ge&#x017F;ungen zu &#x017F;eyn? Entweder muß<lb/>
u&#x0364;berall die Mythologie hier nicht mehr Mythologie;<lb/>
eine liebe Wo&#x0364;rterblume &#x017F;eyn, oder weg damit!</p><lb/>
          <p>Jnde&#x017F;&#x017F;en will Hr. Kl. uns auch in gei&#x017F;tlichen<lb/>
Gedichten nicht ganz leer vom Nutzen der Mytholo-<lb/>
gie ausgehen la&#x017F;&#x017F;en, und &#x017F;chla&#x0364;gt vor <note place="foot" n="a)"><hi rendition="#aq">Epi&#x017F;t. Homer. p.</hi> 86.</note>: &#x201E;Be&#x017F;chrei-<lb/>
&#x201E;bungen der go&#x0364;ttlichen Weisheit und Macht, hohe<lb/>
&#x201E;Bilder der go&#x0364;ttlichen Maje&#x017F;ta&#x0364;t, oft &#x017F;o vortrefflich,<lb/>
&#x201E;&#x017F;o erhaben, daß man &#x017F;ich kaum vor&#x017F;tellen kann,<lb/>
&#x201E;wie &#x017F;ie in den Gei&#x017F;t ungla&#x0364;ubiger Sterblichen ha-<lb/>
&#x201E;ben kommen ko&#x0364;nnen, und durch deren ge&#x017F;chickte<lb/>
&#x201E;Nachahmung der Poet &#x017F;einem Gedichte die gro&#x0364;ße-<lb/>
&#x201E;&#x017F;te Wu&#x0364;rde geben ko&#x0364;nnte.&#x201E; Der Vor&#x017F;chlag i&#x017F;t<lb/>
fromm, aber auch wenig mehr. Wenn Hr- Kl.<lb/>
nicht glaubt, daß Gott &#x017F;elb&#x017F;t in die Seele des chri&#x017F;t-<lb/>
lichen Poeten Bilder ein&#x017F;chiebe, &#x017F;o kann ers nicht<lb/>
fremde finden, daß große Gei&#x017F;ter unter den Heiden<lb/>
auch große Dinge haben denken ko&#x0364;nnen, &#x017F;ie auch<lb/>
von ihren Go&#x0364;ttern denken mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Jch mag keine<lb/>
Vergleichungen, in&#x017F;onderheit in Sachen, die gewi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;e Le&#x017F;er &#x017F;o gern umzukehren pflegen; allein wer wan-<lb/>
delte unter edlern Bildern: der alte, oder der heuti-<lb/>
ge Grieche? Jener zwi&#x017F;chen &#x017F;einen Go&#x0364;ttern; die&#x017F;er<lb/>
zwi&#x017F;chen &#x017F;einen gemalten Heiligen, der Papi&#x017F;t zwi-<lb/>
&#x017F;chen &#x017F;einen gehauenen Ma&#x0364;rtrern. Und bei wem<lb/>
war (ich rede blos von poeti&#x017F;chen Bildern) ein &#x017F;ol-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">cher</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[86/0092] Kritiſche Waͤlder. der Schlacht geſungen zu ſeyn? Entweder muß uͤberall die Mythologie hier nicht mehr Mythologie; eine liebe Woͤrterblume ſeyn, oder weg damit! Jndeſſen will Hr. Kl. uns auch in geiſtlichen Gedichten nicht ganz leer vom Nutzen der Mytholo- gie ausgehen laſſen, und ſchlaͤgt vor a): „Beſchrei- „bungen der goͤttlichen Weisheit und Macht, hohe „Bilder der goͤttlichen Majeſtaͤt, oft ſo vortrefflich, „ſo erhaben, daß man ſich kaum vorſtellen kann, „wie ſie in den Geiſt unglaͤubiger Sterblichen ha- „ben kommen koͤnnen, und durch deren geſchickte „Nachahmung der Poet ſeinem Gedichte die groͤße- „ſte Wuͤrde geben koͤnnte.„ Der Vorſchlag iſt fromm, aber auch wenig mehr. Wenn Hr- Kl. nicht glaubt, daß Gott ſelbſt in die Seele des chriſt- lichen Poeten Bilder einſchiebe, ſo kann ers nicht fremde finden, daß große Geiſter unter den Heiden auch große Dinge haben denken koͤnnen, ſie auch von ihren Goͤttern denken muͤſſen. Jch mag keine Vergleichungen, inſonderheit in Sachen, die gewiſ- ſe Leſer ſo gern umzukehren pflegen; allein wer wan- delte unter edlern Bildern: der alte, oder der heuti- ge Grieche? Jener zwiſchen ſeinen Goͤttern; dieſer zwiſchen ſeinen gemalten Heiligen, der Papiſt zwi- ſchen ſeinen gehauenen Maͤrtrern. Und bei wem war (ich rede blos von poetiſchen Bildern) ein ſol- cher a) Epiſt. Homer. p. 86.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/92
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/92>, abgerufen am 03.05.2024.