Olymp bestürmen, und siehe da; sie liegen im San- de. Zevs niest, es blitzt! fieng jener an, und ich -- wünsche ihm, sich auszuniesen.
Kein Anfang also kann ohne den Ton des Gan- zen in Betracht kommen: kein abgerißner Anfang an sich ist ein Zeichen der Kühnheit, wenn er nicht verfolgt, wenn er nicht ausgeführt wird. Und eine durchhin ausgeführte Abgebrochenheit der Gedan- ken hat Horaz nur bei wenigen Oden: etwa, wo eine Dichtung, ein Gesicht, (II. 19. Epod. 7.) ein schneller Vorfall, eine auffodernde Stimme dazu Gelegen- heit giebt. Und solche Oden unterscheiden sich durch- aus im Ganzen.
Andernfalls macht Horaz solche schreiende An- fänge sich wohl nicht zur Gewohnheit. Die meh- resten seiner auch erhabnen Oden fangen sich mit ei- ner langsamen Gesetztheit: seine lehrenden Oden ru- hig: und seine Oden der Freude meistens sanft an. Wo in der Ode: quis desiderio sit pudor aut mo- dus etc. der kühne abgebrochne Anfang sey: a) sehe ich nicht. Was ist sanfter und beinahe elegisch, als wenn ein Gleim um seinen Stille anstimmt:
Wer mäßigt sich in so gerechtem Leide? Der meine Freud' und aller Menschen Freude, Der Musen Ehre war, Der ist nicht mehr!
Die
a)p. 132.
Kritiſche Waͤlder.
Olymp beſtuͤrmen, und ſiehe da; ſie liegen im San- de. Zevs nieſt, es blitzt! fieng jener an, und ich — wuͤnſche ihm, ſich auszunieſen.
Kein Anfang alſo kann ohne den Ton des Gan- zen in Betracht kommen: kein abgerißner Anfang an ſich iſt ein Zeichen der Kuͤhnheit, wenn er nicht verfolgt, wenn er nicht ausgefuͤhrt wird. Und eine durchhin ausgefuͤhrte Abgebrochenheit der Gedan- ken hat Horaz nur bei wenigen Oden: etwa, wo eine Dichtung, ein Geſicht, (II. 19. Epod. 7.) ein ſchneller Vorfall, eine auffodernde Stimme dazu Gelegen- heit giebt. Und ſolche Oden unterſcheiden ſich durch- aus im Ganzen.
Andernfalls macht Horaz ſolche ſchreiende An- faͤnge ſich wohl nicht zur Gewohnheit. Die meh- reſten ſeiner auch erhabnen Oden fangen ſich mit ei- ner langſamen Geſetztheit: ſeine lehrenden Oden ru- hig: und ſeine Oden der Freude meiſtens ſanft an. Wo in der Ode: quis deſiderio ſit pudor aut mo- dus etc. der kuͤhne abgebrochne Anfang ſey: a) ſehe ich nicht. Was iſt ſanfter und beinahe elegiſch, als wenn ein Gleim um ſeinen Stille anſtimmt:
Wer maͤßigt ſich in ſo gerechtem Leide? Der meine Freud’ und aller Menſchen Freude, Der Muſen Ehre war, Der iſt nicht mehr!
Die
a)p. 132.
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Kritiſche Waͤlder.
Olymp beſtuͤrmen, und ſiehe da; ſie liegen im San-
de. Zevs nieſt, es blitzt! fieng jener an, und ich
— wuͤnſche ihm, ſich auszunieſen.
Kein Anfang alſo kann ohne den Ton des Gan-
zen in Betracht kommen: kein abgerißner Anfang
an ſich iſt ein Zeichen der Kuͤhnheit, wenn er nicht
verfolgt, wenn er nicht ausgefuͤhrt wird. Und eine
durchhin ausgefuͤhrte Abgebrochenheit der Gedan-
ken hat Horaz nur bei wenigen Oden: etwa, wo eine
Dichtung, ein Geſicht, (II. 19. Epod. 7.) ein ſchneller
Vorfall, eine auffodernde Stimme dazu Gelegen-
heit giebt. Und ſolche Oden unterſcheiden ſich durch-
aus im Ganzen.
Andernfalls macht Horaz ſolche ſchreiende An-
faͤnge ſich wohl nicht zur Gewohnheit. Die meh-
reſten ſeiner auch erhabnen Oden fangen ſich mit ei-
ner langſamen Geſetztheit: ſeine lehrenden Oden ru-
hig: und ſeine Oden der Freude meiſtens ſanft an.
Wo in der Ode: quis deſiderio ſit pudor aut mo-
dus etc. der kuͤhne abgebrochne Anfang ſey: a) ſehe
ich nicht. Was iſt ſanfter und beinahe elegiſch, als
wenn ein Gleim um ſeinen Stille anſtimmt:
Wer maͤßigt ſich in ſo gerechtem Leide?
Der meine Freud’ und aller Menſchen Freude,
Der Muſen Ehre war,
Der iſt nicht mehr!
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Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/240>, abgerufen am 17.07.2024.
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