Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.Zweites Wäldchen. eines poetischen entheismou. Nun komme ein nüch-terner Classifikateur, und mache ihn folgendergestalt zum locus communis a): Poeta admiratus egregia facta Augusti, atque plenus hac cogitatione, Au- gustique magnitudine excitatus a Baccho abripi videtur, so ist die Harmonie der ganzen Ode zerstört. Welcher Zusammenhang, die Thaten Augusts be- wundernd überdenken, und vom Bacchus fortgeris- sen werden? Nüchterne Trunkenheit! Unhorazischer Horaz! Nein! mein Römer berauscht sich nicht ge- setzmäßig, um Augustus zu singen: er singt August, weil ihn Bacchus treibt, weil er sich begeistert fühlt. Das Lob des Kaisers verliert alles, wenn es ein stu- dirtes Lob ist: es ist also nur ein hingeworfner, mitten in der Begeisterung gefühlter Gedanke, und Horaz folgt seinem Bacchus weiter, ohne an August zu denken. Die klotzische Erklärung des Anfanges ist also nüchtern, sie ist wider den Ton der Ode. Jch lasse mich auf die übrigen Beispiele nicht Olymp a) p. 131. P 5
Zweites Waͤldchen. eines poetiſchen ενϑεισμου. Nun komme ein nuͤch-terner Claſſifikateur, und mache ihn folgendergeſtalt zum locus communis a): Poeta admiratus egregia facta Auguſti, atque plenus hac cogitatione, Au- guſtique magnitudine excitatus a Baccho abripi videtur, ſo iſt die Harmonie der ganzen Ode zerſtoͤrt. Welcher Zuſammenhang, die Thaten Auguſts be- wundernd uͤberdenken, und vom Bacchus fortgeriſ- ſen werden? Nuͤchterne Trunkenheit! Unhoraziſcher Horaz! Nein! mein Roͤmer berauſcht ſich nicht ge- ſetzmaͤßig, um Auguſtus zu ſingen: er ſingt Auguſt, weil ihn Bacchus treibt, weil er ſich begeiſtert fuͤhlt. Das Lob des Kaiſers verliert alles, wenn es ein ſtu- dirtes Lob iſt: es iſt alſo nur ein hingeworfner, mitten in der Begeiſterung gefuͤhlter Gedanke, und Horaz folgt ſeinem Bacchus weiter, ohne an Auguſt zu denken. Die klotziſche Erklaͤrung des Anfanges iſt alſo nuͤchtern, ſie iſt wider den Ton der Ode. Jch laſſe mich auf die uͤbrigen Beiſpiele nicht Olymp a) p. 131. P 5
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Zweites Waͤldchen.
eines poetiſchen ενϑεισμου. Nun komme ein nuͤch-
terner Claſſifikateur, und mache ihn folgendergeſtalt
zum locus communis a): Poeta admiratus egregia
facta Auguſti, atque plenus hac cogitatione, Au-
guſtique magnitudine excitatus a Baccho abripi
videtur, ſo iſt die Harmonie der ganzen Ode zerſtoͤrt.
Welcher Zuſammenhang, die Thaten Auguſts be-
wundernd uͤberdenken, und vom Bacchus fortgeriſ-
ſen werden? Nuͤchterne Trunkenheit! Unhoraziſcher
Horaz! Nein! mein Roͤmer berauſcht ſich nicht ge-
ſetzmaͤßig, um Auguſtus zu ſingen: er ſingt Auguſt,
weil ihn Bacchus treibt, weil er ſich begeiſtert fuͤhlt.
Das Lob des Kaiſers verliert alles, wenn es ein ſtu-
dirtes Lob iſt: es iſt alſo nur ein hingeworfner, mitten
in der Begeiſterung gefuͤhlter Gedanke, und Horaz
folgt ſeinem Bacchus weiter, ohne an Auguſt zu
denken. Die klotziſche Erklaͤrung des Anfanges iſt
alſo nuͤchtern, ſie iſt wider den Ton der Ode.
Jch laſſe mich auf die uͤbrigen Beiſpiele nicht
ein; ſage aber nur ſo viel: Jeder unvermuthete
Anfang ſcheint abgebrochen; ſo bald aber der ab-
gebrochne Anfang merkbar wird, und den Ton der
ganzen Ode uͤberſchreiet: ſo iſt er keine Schoͤnheit
mehr, er iſt ein Fehler der Ode. Er frappirt nicht
mehr angenehm, ſondern er beſtuͤrmet unſer Ohr
entſetzlich. So ſind die neuern Horazianer oftmals;
ſie fangen an, als wollten ſie mit ihrer Ode den
Olymp
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