Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Wäldchen.
Od. X, 3. steht unter Merkurs Lobsprüchen das
Sabinische Wort: catus:

-- -- qui feros cultus hominum rece ntum
Voce formasti catus --

und wer weiß, was catus ist? Hr. Klotz soll es
sagen a). Non sola voce hoc fecit, sed eatus h. e.
acutus studia vniuscuiusque sectatus ad animos
velut descendit, et callide ita quemque mouere
studuit, vt illius cupiditates poscere videbantur.

Entweder ich verstehe Horaz nicht, oder Hr. Klotz
hat ihn nicht verstanden. Merkur, denke ich, bil-
dete die ersten Wilden, theils, daß er, der scharfsin-
nige Merkur, ihnen Sprache gab; theils daß er
ihre Glieder bildete; jenes, nach der allgemeinen
Tradition, die Menschen seyn durch die Sprache ge-
sittet geworden; dies, um ihnen die thierische Plump-
heit des Körpers abzugewöhnen. Jst dies der
Verstand des Dichters: so ist das quomodo leni-
verit
hominum animos
wohl nichts; so ists wohl
kein Gegensatz: non sola voce hoc fecit, sed ca-
tus:
so hat mein Commentator ein Non-sense ge-
sagt. Jst dies aber nicht der Verstand des Dich-
ters; wollte er sagen: Merkur habe den Thiermen-
schen täglich eine beredte Predigt gehalten, in der
er catus auf die Neigungen und Gemüthsart jedes
seiner respektiven Herren Zuhörer gesehen, sich zu
ihnen herabgelassen, und nach vollbrachter Predigt

sie
a) p. 112.
P 2

Zweites Waͤldchen.
Od. X, 3. ſteht unter Merkurs Lobſpruͤchen das
Sabiniſche Wort: catus:

— — qui feros cultus hominum rece ntum
Voce formaſti catus —

und wer weiß, was catus iſt? Hr. Klotz ſoll es
ſagen a). Non ſola voce hoc fecit, ſed eatus h. e.
acutus ſtudia vniuscuiusque ſectatus ad animos
velut deſcendit, et callide ita quemque mouere
ſtuduit, vt illius cupiditates poſcere videbantur.

Entweder ich verſtehe Horaz nicht, oder Hr. Klotz
hat ihn nicht verſtanden. Merkur, denke ich, bil-
dete die erſten Wilden, theils, daß er, der ſcharfſin-
nige Merkur, ihnen Sprache gab; theils daß er
ihre Glieder bildete; jenes, nach der allgemeinen
Tradition, die Menſchen ſeyn durch die Sprache ge-
ſittet geworden; dies, um ihnen die thieriſche Plump-
heit des Koͤrpers abzugewoͤhnen. Jſt dies der
Verſtand des Dichters: ſo iſt das quomodo leni-
verit
hominum animos
wohl nichts; ſo iſts wohl
kein Gegenſatz: non ſola voce hoc fecit, ſed ca-
tus:
ſo hat mein Commentator ein Non-ſenſe ge-
ſagt. Jſt dies aber nicht der Verſtand des Dich-
ters; wollte er ſagen: Merkur habe den Thiermen-
ſchen taͤglich eine beredte Predigt gehalten, in der
er catus auf die Neigungen und Gemuͤthsart jedes
ſeiner reſpektiven Herren Zuhoͤrer geſehen, ſich zu
ihnen herabgelaſſen, und nach vollbrachter Predigt

ſie
a) p. 112.
P 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p>
              <pb facs="#f0233" n="227"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Zweites Wa&#x0364;ldchen.</hi> </fw><lb/> <hi rendition="#et"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Od. X</hi>, <hi rendition="#i">3.</hi></hi> &#x017F;teht unter Merkurs Lob&#x017F;pru&#x0364;chen das<lb/>
Sabini&#x017F;che Wort: <hi rendition="#aq">catus:</hi></hi> </p><lb/>
            <cit>
              <quote>
                <lg type="poem">
                  <l> <hi rendition="#aq">&#x2014; &#x2014; qui feros cultus hominum rece ntum</hi> </l><lb/>
                  <l> <hi rendition="#aq">Voce forma&#x017F;ti catus &#x2014;</hi> </l>
                </lg>
              </quote>
            </cit><lb/>
            <p>und wer weiß, was <hi rendition="#aq">catus</hi> i&#x017F;t? Hr. Klotz &#x017F;oll es<lb/>
&#x017F;agen <note place="foot" n="a)"><hi rendition="#aq">p.</hi> 112.</note>. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Non &#x017F;ola voce</hi> hoc fecit, &#x017F;ed eatus h. e.<lb/>
acutus &#x017F;tudia vniuscuiusque &#x017F;ectatus ad animos<lb/>
velut de&#x017F;cendit, et callide ita quemque mouere<lb/>
&#x017F;tuduit, vt illius cupiditates po&#x017F;cere videbantur.</hi><lb/>
Entweder ich ver&#x017F;tehe Horaz nicht, oder Hr. Klotz<lb/>
hat ihn nicht ver&#x017F;tanden. Merkur, denke ich, bil-<lb/>
dete die er&#x017F;ten Wilden, theils, daß er, der &#x017F;charf&#x017F;in-<lb/>
nige Merkur, ihnen Sprache gab; theils daß er<lb/>
ihre Glieder bildete; jenes, nach der allgemeinen<lb/>
Tradition, die Men&#x017F;chen &#x017F;eyn durch die Sprache ge-<lb/>
&#x017F;ittet geworden; dies, um ihnen die thieri&#x017F;che Plump-<lb/>
heit des Ko&#x0364;rpers abzugewo&#x0364;hnen. J&#x017F;t dies der<lb/>
Ver&#x017F;tand des Dichters: &#x017F;o i&#x017F;t das <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">quomodo leni-<lb/>
verit</hi> hominum animos</hi> wohl nichts; &#x017F;o i&#x017F;ts wohl<lb/>
kein Gegen&#x017F;atz: <hi rendition="#aq">non &#x017F;ola voce hoc fecit, &#x017F;ed ca-<lb/>
tus:</hi> &#x017F;o hat mein Commentator ein Non-&#x017F;en&#x017F;e ge-<lb/>
&#x017F;agt. J&#x017F;t dies aber nicht der Ver&#x017F;tand des Dich-<lb/>
ters; wollte er &#x017F;agen: Merkur habe den Thiermen-<lb/>
&#x017F;chen ta&#x0364;glich eine beredte Predigt gehalten, in der<lb/>
er <hi rendition="#aq">catus</hi> auf die Neigungen und Gemu&#x0364;thsart jedes<lb/>
&#x017F;einer re&#x017F;pektiven Herren Zuho&#x0364;rer ge&#x017F;ehen, &#x017F;ich zu<lb/>
ihnen herabgela&#x017F;&#x017F;en, und nach vollbrachter Predigt<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">P 2</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ie</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[227/0233] Zweites Waͤldchen. Od. X, 3. ſteht unter Merkurs Lobſpruͤchen das Sabiniſche Wort: catus: — — qui feros cultus hominum rece ntum Voce formaſti catus — und wer weiß, was catus iſt? Hr. Klotz ſoll es ſagen a). Non ſola voce hoc fecit, ſed eatus h. e. acutus ſtudia vniuscuiusque ſectatus ad animos velut deſcendit, et callide ita quemque mouere ſtuduit, vt illius cupiditates poſcere videbantur. Entweder ich verſtehe Horaz nicht, oder Hr. Klotz hat ihn nicht verſtanden. Merkur, denke ich, bil- dete die erſten Wilden, theils, daß er, der ſcharfſin- nige Merkur, ihnen Sprache gab; theils daß er ihre Glieder bildete; jenes, nach der allgemeinen Tradition, die Menſchen ſeyn durch die Sprache ge- ſittet geworden; dies, um ihnen die thieriſche Plump- heit des Koͤrpers abzugewoͤhnen. Jſt dies der Verſtand des Dichters: ſo iſt das quomodo leni- verit hominum animos wohl nichts; ſo iſts wohl kein Gegenſatz: non ſola voce hoc fecit, ſed ca- tus: ſo hat mein Commentator ein Non-ſenſe ge- ſagt. Jſt dies aber nicht der Verſtand des Dich- ters; wollte er ſagen: Merkur habe den Thiermen- ſchen taͤglich eine beredte Predigt gehalten, in der er catus auf die Neigungen und Gemuͤthsart jedes ſeiner reſpektiven Herren Zuhoͤrer geſehen, ſich zu ihnen herabgelaſſen, und nach vollbrachter Predigt ſie a) p. 112. P 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/233
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/233>, abgerufen am 23.11.2024.