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Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.

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Kritische Wälder.
"dieses nur an, weil es gemeiniglich als ein etwas
"kühner Zug vom schönen Umgange angesehen
"wird, auch in der That von jeher viel Witz ist
"darauf verschwendet worden; was aber das Ur-
"theil nach moralischer Strenge anlangt, so gehöret
"das nicht hieher, da ich in der Empfindung des
"Schönen nur die Erscheinungen zu beobachten und
"zu erläutern habe."

Jch finde, die Beobachtungen meines Philoso-
phen so genau und unterscheidend, daß ich sie auf
der Bahn meines Zweckes als ein würdiges Vor-
bild, nachzuahmen und zu erreichen wünsche. --
Es giebt sich also die Frage; wie fern und worinn
die Schaamhaftigkeit eines Schriftstellers sich äus-
sern solle?

Hr. Klotz antwortet für seinen epischen Poeten:
darinn, daß der Jnhalt seines Gedichts sorgfältig
ausgewählt, daß wenn in demselben Dinge vor-
kommen, die nackt gesagt, das Ohr beleidigen, er
der Schamhaftigkeit seiner Leser schone, daß er
das kakophaton, das ist, Ausdrücke, die zweideutig
scheinen können, vermeide. -- man sieht, daß mit
diesem Fachwercke noch nichts gesagt ist, daß dahin-
ein erst Realien kommen müssen, ehe man urthei-
len könnte. Da fängt Hr. Klotz zum Unglück am
unrechten Ende, vom kakophaton, an. a)

Das
a) p. 254.

Kritiſche Waͤlder.
„dieſes nur an, weil es gemeiniglich als ein etwas
„kuͤhner Zug vom ſchoͤnen Umgange angeſehen
„wird, auch in der That von jeher viel Witz iſt
„darauf verſchwendet worden; was aber das Ur-
„theil nach moraliſcher Strenge anlangt, ſo gehoͤret
„das nicht hieher, da ich in der Empfindung des
„Schoͤnen nur die Erſcheinungen zu beobachten und
„zu erlaͤutern habe.„

Jch finde, die Beobachtungen meines Philoſo-
phen ſo genau und unterſcheidend, daß ich ſie auf
der Bahn meines Zweckes als ein wuͤrdiges Vor-
bild, nachzuahmen und zu erreichen wuͤnſche. —
Es giebt ſich alſo die Frage; wie fern und worinn
die Schaamhaftigkeit eines Schriftſtellers ſich aͤuſ-
ſern ſolle?

Hr. Klotz antwortet fuͤr ſeinen epiſchen Poeten:
darinn, daß der Jnhalt ſeines Gedichts ſorgfaͤltig
ausgewaͤhlt, daß wenn in demſelben Dinge vor-
kommen, die nackt geſagt, das Ohr beleidigen, er
der Schamhaftigkeit ſeiner Leſer ſchone, daß er
das κακοφατον, das iſt, Ausdruͤcke, die zweideutig
ſcheinen koͤnnen, vermeide. — man ſieht, daß mit
dieſem Fachwercke noch nichts geſagt iſt, daß dahin-
ein erſt Realien kommen muͤſſen, ehe man urthei-
len koͤnnte. Da faͤngt Hr. Klotz zum Ungluͤck am
unrechten Ende, vom κακοφατον, an. a)

Das
a) p. 254.
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[138/0144] Kritiſche Waͤlder. „dieſes nur an, weil es gemeiniglich als ein etwas „kuͤhner Zug vom ſchoͤnen Umgange angeſehen „wird, auch in der That von jeher viel Witz iſt „darauf verſchwendet worden; was aber das Ur- „theil nach moraliſcher Strenge anlangt, ſo gehoͤret „das nicht hieher, da ich in der Empfindung des „Schoͤnen nur die Erſcheinungen zu beobachten und „zu erlaͤutern habe.„ Jch finde, die Beobachtungen meines Philoſo- phen ſo genau und unterſcheidend, daß ich ſie auf der Bahn meines Zweckes als ein wuͤrdiges Vor- bild, nachzuahmen und zu erreichen wuͤnſche. — Es giebt ſich alſo die Frage; wie fern und worinn die Schaamhaftigkeit eines Schriftſtellers ſich aͤuſ- ſern ſolle? Hr. Klotz antwortet fuͤr ſeinen epiſchen Poeten: darinn, daß der Jnhalt ſeines Gedichts ſorgfaͤltig ausgewaͤhlt, daß wenn in demſelben Dinge vor- kommen, die nackt geſagt, das Ohr beleidigen, er der Schamhaftigkeit ſeiner Leſer ſchone, daß er das κακοφατον, das iſt, Ausdruͤcke, die zweideutig ſcheinen koͤnnen, vermeide. — man ſieht, daß mit dieſem Fachwercke noch nichts geſagt iſt, daß dahin- ein erſt Realien kommen muͤſſen, ehe man urthei- len koͤnnte. Da faͤngt Hr. Klotz zum Ungluͤck am unrechten Ende, vom κακοφατον, an. a) Das a) p. 254.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/144>, abgerufen am 23.11.2024.