Sollte, in Gedichten der Liebe, Amor nichts, als die personificirte Liebe, das Abstractum dieses Begriffes in allegorische Gestalt eingekleidet seyn -- arme Dichter der Liebe! das Reich eurer Phantasie ist verwüstet. Nicht mehr der mythologische Amor mit allen seinen Geschichtchen; eine metaphysische Mas- ke ist euer Gesang. Alsdenn z. E. sind die jacobi- schen Tändeleien von Einem Amor, von diesem und jenem Amor, vom Amor, der Lerchen fängt, der jetzt verschwindet; jetzt uns eine Stunde Friede läßt; jetzt unvermuthet unter Schmiedeknechten beim Vor- beipassiren gefunden wird; jetzt, wie ein fliegendes Jucken in der Haut wiederkommt; fade. Alsdenn schrumpft das Reich erotischer Wesen in die wenigen steifen Herrlichkeiten ein, die Hr. Kl. von seinen Gemmen uns vorzält, und auch die sind nicht ohne mythologische Züge. -- -- Kurz! wenn Hr. Kl. seine Behauptungen nur halb überdacht, kaum hät- te ers sich selbst verantwortet, den mythologischen Achtsbann niederzuschreiben, der alle unsre Dich- ter aus seiner poetischen Republik treibet. Jch hof- fe, die Muse werde dem neuen Plato, für einen so bündigen Reichsschluß, sanfte Ruhe verliehen haben!
10.
Der Rest der homerischen Briefe wird uns, wie ich glaube, den Weg verkürzen.
Hr. Kl.
H 3
Zweites Waͤldchen.
Sollte, in Gedichten der Liebe, Amor nichts, als die perſonificirte Liebe, das Abſtractum dieſes Begriffes in allegoriſche Geſtalt eingekleidet ſeyn — arme Dichter der Liebe! das Reich eurer Phantaſie iſt verwuͤſtet. Nicht mehr der mythologiſche Amor mit allen ſeinen Geſchichtchen; eine metaphyſiſche Mas- ke iſt euer Geſang. Alsdenn z. E. ſind die jacobi- ſchen Taͤndeleien von Einem Amor, von dieſem und jenem Amor, vom Amor, der Lerchen faͤngt, der jetzt verſchwindet; jetzt uns eine Stunde Friede laͤßt; jetzt unvermuthet unter Schmiedeknechten beim Vor- beipaſſiren gefunden wird; jetzt, wie ein fliegendes Jucken in der Haut wiederkommt; fade. Alsdenn ſchrumpft das Reich erotiſcher Weſen in die wenigen ſteifen Herrlichkeiten ein, die Hr. Kl. von ſeinen Gemmen uns vorzaͤlt, und auch die ſind nicht ohne mythologiſche Zuͤge. — — Kurz! wenn Hr. Kl. ſeine Behauptungen nur halb uͤberdacht, kaum haͤt- te ers ſich ſelbſt verantwortet, den mythologiſchen Achtsbann niederzuſchreiben, der alle unſre Dich- ter aus ſeiner poetiſchen Republik treibet. Jch hof- fe, die Muſe werde dem neuen Plato, fuͤr einen ſo buͤndigen Reichsſchluß, ſanfte Ruhe verliehen haben!
10.
Der Reſt der homeriſchen Briefe wird uns, wie ich glaube, den Weg verkuͤrzen.
Hr. Kl.
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Zweites Waͤldchen.
Sollte, in Gedichten der Liebe, Amor nichts,
als die perſonificirte Liebe, das Abſtractum dieſes
Begriffes in allegoriſche Geſtalt eingekleidet ſeyn —
arme Dichter der Liebe! das Reich eurer Phantaſie
iſt verwuͤſtet. Nicht mehr der mythologiſche Amor mit
allen ſeinen Geſchichtchen; eine metaphyſiſche Mas-
ke iſt euer Geſang. Alsdenn z. E. ſind die jacobi-
ſchen Taͤndeleien von Einem Amor, von dieſem und
jenem Amor, vom Amor, der Lerchen faͤngt, der
jetzt verſchwindet; jetzt uns eine Stunde Friede laͤßt;
jetzt unvermuthet unter Schmiedeknechten beim Vor-
beipaſſiren gefunden wird; jetzt, wie ein fliegendes
Jucken in der Haut wiederkommt; fade. Alsdenn
ſchrumpft das Reich erotiſcher Weſen in die wenigen
ſteifen Herrlichkeiten ein, die Hr. Kl. von ſeinen
Gemmen uns vorzaͤlt, und auch die ſind nicht ohne
mythologiſche Zuͤge. — — Kurz! wenn Hr. Kl.
ſeine Behauptungen nur halb uͤberdacht, kaum haͤt-
te ers ſich ſelbſt verantwortet, den mythologiſchen
Achtsbann niederzuſchreiben, der alle unſre Dich-
ter aus ſeiner poetiſchen Republik treibet. Jch hof-
fe, die Muſe werde dem neuen Plato, fuͤr einen
ſo buͤndigen Reichsſchluß, ſanfte Ruhe verliehen
haben!
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Der Reſt der homeriſchen Briefe wird uns,
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Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische02_1769/123>, abgerufen am 16.07.2024.
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