er hat neue Anschläge wider ihn -- o des Bösen! wer wollte nicht mit einem armen, einsamen, ver- lassenen Kranken, mit dem niemand Mitleiden ge- habt, gegen den Treulosen Parthei nehmen, der ein Werkzeug seines Unglücks war.
Nun fällt uns die Wohnung des Elenden nä- her in die Augen -- eine unbewohnte Höle! -- Jst noch etwas Hausgeräth und Speise darinn? zertretenes Gras -- ein elendes Lager der Thiere! -- hier muß der Held liegen, ohne den Troja nicht kann erobert werden: ein Becher von Holze, etwas Feuergeräth -- ist der ganze Schatz des Königes -- und o Götter! hier eitervolle Lappen, Zeugen sei- ner Krankheit! -- Er ist fort -- wie weit kann der Elende fort hinken? Ohne Zweifel mußte ers -- nach Speise vielleicht! vielleicht nach einem lindern- den Kraut! daß ers doch fände! daß man ihn doch sähe! Jndessen a) geht die Scene des Betruges an, da Ulysses den Neoptolemus so weit bringt, daß dieser gutherzige Redliche, der Sohn des redlichen Achilles, einen Fremden, einen Elenden, mit List durch Lügen und Ränke gefangen nehmen soll. Jch weiß es, daß die Griechen, zumal Sophokles, jene unmoralische Ungeheuer so hasset, als er nur die moralischen hassen mag, und daß er auf seinen Thea- ter nichts als Menschen, weder Engel, noch Teu- fel vorstellet; allein Ulysses, wie er hier erscheint, ist
nicht
a) Auftr. 2.
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Erſtes Waͤldchen.
er hat neue Anſchlaͤge wider ihn — o des Boͤſen! wer wollte nicht mit einem armen, einſamen, ver- laſſenen Kranken, mit dem niemand Mitleiden ge- habt, gegen den Treuloſen Parthei nehmen, der ein Werkzeug ſeines Ungluͤcks war.
Nun faͤllt uns die Wohnung des Elenden naͤ- her in die Augen — eine unbewohnte Hoͤle! — Jſt noch etwas Hausgeraͤth und Speiſe darinn? zertretenes Gras — ein elendes Lager der Thiere! — hier muß der Held liegen, ohne den Troja nicht kann erobert werden: ein Becher von Holze, etwas Feuergeraͤth — iſt der ganze Schatz des Koͤniges — und o Goͤtter! hier eitervolle Lappen, Zeugen ſei- ner Krankheit! — Er iſt fort — wie weit kann der Elende fort hinken? Ohne Zweifel mußte ers — nach Speiſe vielleicht! vielleicht nach einem lindern- den Kraut! daß ers doch faͤnde! daß man ihn doch ſaͤhe! Jndeſſen a) geht die Scene des Betruges an, da Ulyſſes den Neoptolemus ſo weit bringt, daß dieſer gutherzige Redliche, der Sohn des redlichen Achilles, einen Fremden, einen Elenden, mit Liſt durch Luͤgen und Raͤnke gefangen nehmen ſoll. Jch weiß es, daß die Griechen, zumal Sophokles, jene unmoraliſche Ungeheuer ſo haſſet, als er nur die moraliſchen haſſen mag, und daß er auf ſeinen Thea- ter nichts als Menſchen, weder Engel, noch Teu- fel vorſtellet; allein Ulyſſes, wie er hier erſcheint, iſt
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Erſtes Waͤldchen.
er hat neue Anſchlaͤge wider ihn — o des Boͤſen!
wer wollte nicht mit einem armen, einſamen, ver-
laſſenen Kranken, mit dem niemand Mitleiden ge-
habt, gegen den Treuloſen Parthei nehmen, der
ein Werkzeug ſeines Ungluͤcks war.
Nun faͤllt uns die Wohnung des Elenden naͤ-
her in die Augen — eine unbewohnte Hoͤle! —
Jſt noch etwas Hausgeraͤth und Speiſe darinn?
zertretenes Gras — ein elendes Lager der Thiere!
— hier muß der Held liegen, ohne den Troja nicht
kann erobert werden: ein Becher von Holze, etwas
Feuergeraͤth — iſt der ganze Schatz des Koͤniges
— und o Goͤtter! hier eitervolle Lappen, Zeugen ſei-
ner Krankheit! — Er iſt fort — wie weit kann der
Elende fort hinken? Ohne Zweifel mußte ers —
nach Speiſe vielleicht! vielleicht nach einem lindern-
den Kraut! daß ers doch faͤnde! daß man ihn doch
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da Ulyſſes den Neoptolemus ſo weit bringt, daß
dieſer gutherzige Redliche, der Sohn des redlichen
Achilles, einen Fremden, einen Elenden, mit Liſt
durch Luͤgen und Raͤnke gefangen nehmen ſoll. Jch
weiß es, daß die Griechen, zumal Sophokles, jene
unmoraliſche Ungeheuer ſo haſſet, als er nur die
moraliſchen haſſen mag, und daß er auf ſeinen Thea-
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[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/63>, abgerufen am 17.02.2025.
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