menschen sind die Helden Homers, und je größerer Held, je größerer Unmensch: sein Achilles ist sogar am Körper unverletzlich.
Jsts also bei Homer, daß seine Helden schreien und weinen müssen "um der menschlichen Natur "treu zu bleiben, wenn es auf das Gefühl der "Schmerzen, wenn es auf die Aeußerung dieses "Gefühls durch Schreien oder durch Thränen an- "kommt?" a) Jch wollte nicht, daß ein alter Grieche, dessen Heldenseele, als ein seliger Dämon noch in der Welt unsichtbar wandelte, diese Behau- ptung läse. Was? würde er sagen, was ist wohl einem in die Schlacht ziehenden Helden natürlicher, als verwundet, getroffen werden; sich fürchten also kann er, wenn ihn ein unvermutheter Pfeil trifft; aber in der Schlacht schreien und weinen, das thut kein homerischer Held der Griechen; selbst kein Held der Trojaner, die doch immer Homer in kleinen Zü- gen herunter setzt. Einem Hektor b) in seinem Tode entsinkt, selbst bei seiner letzten sterbenden Bit- te, keine Thräne, kein Ton des Geschreies: ein Sarpedon c) knirscht, da er stirbt, und je tapferer, um so gefaßter bei dem Schmerze. Nur die Fei- gen zittern und weinen und schreien: Pherekles, der feige Flüchtling, und die weichliche Venus, und
der
a) Laok. pag. 5.
b)Iliad. Kh. v. 330. &c.
c)Iliad. P. v. 586.
Kritiſche Waͤlder.
menſchen ſind die Helden Homers, und je groͤßerer Held, je groͤßerer Unmenſch: ſein Achilles iſt ſogar am Koͤrper unverletzlich.
Jſts alſo bei Homer, daß ſeine Helden ſchreien und weinen muͤſſen „um der menſchlichen Natur „treu zu bleiben, wenn es auf das Gefuͤhl der „Schmerzen, wenn es auf die Aeußerung dieſes „Gefuͤhls durch Schreien oder durch Thraͤnen an- „kommt?„ a) Jch wollte nicht, daß ein alter Grieche, deſſen Heldenſeele, als ein ſeliger Daͤmon noch in der Welt unſichtbar wandelte, dieſe Behau- ptung laͤſe. Was? wuͤrde er ſagen, was iſt wohl einem in die Schlacht ziehenden Helden natuͤrlicher, als verwundet, getroffen werden; ſich fuͤrchten alſo kann er, wenn ihn ein unvermutheter Pfeil trifft; aber in der Schlacht ſchreien und weinen, das thut kein homeriſcher Held der Griechen; ſelbſt kein Held der Trojaner, die doch immer Homer in kleinen Zuͤ- gen herunter ſetzt. Einem Hektor b) in ſeinem Tode entſinkt, ſelbſt bei ſeiner letzten ſterbenden Bit- te, keine Thraͤne, kein Ton des Geſchreies: ein Sarpedon c) knirſcht, da er ſtirbt, und je tapferer, um ſo gefaßter bei dem Schmerze. Nur die Fei- gen zittern und weinen und ſchreien: Pherekles, der feige Fluͤchtling, und die weichliche Venus, und
der
a) Laok. pag. 5.
b)Iliad. Χ. v. 330. &c.
c)Iliad. Π. v. 586.
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Kritiſche Waͤlder.
menſchen ſind die Helden Homers, und je groͤßerer
Held, je groͤßerer Unmenſch: ſein Achilles iſt ſogar
am Koͤrper unverletzlich.
Jſts alſo bei Homer, daß ſeine Helden ſchreien
und weinen muͤſſen „um der menſchlichen Natur
„treu zu bleiben, wenn es auf das Gefuͤhl der
„Schmerzen, wenn es auf die Aeußerung dieſes
„Gefuͤhls durch Schreien oder durch Thraͤnen an-
„kommt?„ a) Jch wollte nicht, daß ein alter
Grieche, deſſen Heldenſeele, als ein ſeliger Daͤmon
noch in der Welt unſichtbar wandelte, dieſe Behau-
ptung laͤſe. Was? wuͤrde er ſagen, was iſt wohl
einem in die Schlacht ziehenden Helden natuͤrlicher,
als verwundet, getroffen werden; ſich fuͤrchten alſo
kann er, wenn ihn ein unvermutheter Pfeil trifft;
aber in der Schlacht ſchreien und weinen, das thut
kein homeriſcher Held der Griechen; ſelbſt kein Held
der Trojaner, die doch immer Homer in kleinen Zuͤ-
gen herunter ſetzt. Einem Hektor b) in ſeinem
Tode entſinkt, ſelbſt bei ſeiner letzten ſterbenden Bit-
te, keine Thraͤne, kein Ton des Geſchreies: ein
Sarpedon c) knirſcht, da er ſtirbt, und je tapferer,
um ſo gefaßter bei dem Schmerze. Nur die Fei-
gen zittern und weinen und ſchreien: Pherekles, der
feige Fluͤchtling, und die weichliche Venus, und
der
a) Laok. pag. 5.
b) Iliad. Χ. v. 330. &c.
c) Iliad. Π. v. 586.
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[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/34>, abgerufen am 16.07.2024.
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