[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.Erstes Wäldchen. Waffen a) -- aber aufzuschreien vergißt er. Manmuntert ihn auf, gießt ihm Wasser ein: er kommt zu sich: blickt auf; aber er sinkt in die Kniee, speiet schwarzes Blut -- und doch denkt der Unmensch an eins nicht, über seine Brustschmerzen, über seine Seitenstiche zu schreien und zu weinen. -- So mit allen Helden Homers, der auch in diesem Stücke Charakter beobachtet. Menelaus wird vom Pfeile Pandarus unvermuthet und im wichtig- sten Zeitpunkte getroffen: sein Blut rinnt: Agame- mnon fährt zusammen: Menelaus selbst b); aber nichts mehr! da er den Pfeil in der Wunde sieht, zieht er ihn aus, und läßt seinen Bruder und seine Mitsoldaten um sich seufzen. Man weiß, daß Homer eine ordentliche Leiter der Tapferkeit habe, und er hat sie auch in dieser anscheinlichen Kleinig- keit sogar. Ulysses c) hält deßwegen seinen Schmerz zurück, weil er die Wunde nicht tödtlich fühlt; Agamemnon und Menelaus fahren d) bei der Verwundung doch noch zusammen; aber end- lich der verwundete Diomedes" stand, rief dem Sthenelus, ihm den Pfeil aus der Wunde zu zie- hen; und da das Blut quoll, so strömte seine Em- pfindung, statt in Thränen und Geschrei, in feuri- ge Gebethe wider die Feinde aus e). Solche Un- men- a) Iliad. Ks v. 418. b) Iliad. D. v. 148. c) Iliad. L. v. 439. d) Iliad. D. v. 148. e) Iliad. E. v. 95. &c.
Erſtes Waͤldchen. Waffen a) — aber aufzuſchreien vergißt er. Manmuntert ihn auf, gießt ihm Waſſer ein: er kommt zu ſich: blickt auf; aber er ſinkt in die Kniee, ſpeiet ſchwarzes Blut — und doch denkt der Unmenſch an eins nicht, uͤber ſeine Bruſtſchmerzen, uͤber ſeine Seitenſtiche zu ſchreien und zu weinen. — So mit allen Helden Homers, der auch in dieſem Stuͤcke Charakter beobachtet. Menelaus wird vom Pfeile Pandarus unvermuthet und im wichtig- ſten Zeitpunkte getroffen: ſein Blut rinnt: Agame- mnon faͤhrt zuſammen: Menelaus ſelbſt b); aber nichts mehr! da er den Pfeil in der Wunde ſieht, zieht er ihn aus, und laͤßt ſeinen Bruder und ſeine Mitſoldaten um ſich ſeufzen. Man weiß, daß Homer eine ordentliche Leiter der Tapferkeit habe, und er hat ſie auch in dieſer anſcheinlichen Kleinig- keit ſogar. Ulyſſes c) haͤlt deßwegen ſeinen Schmerz zuruͤck, weil er die Wunde nicht toͤdtlich fuͤhlt; Agamemnon und Menelaus fahren d) bei der Verwundung doch noch zuſammen; aber end- lich der verwundete Diomedes„ ſtand, rief dem Sthenelus, ihm den Pfeil aus der Wunde zu zie- hen; und da das Blut quoll, ſo ſtroͤmte ſeine Em- pfindung, ſtatt in Thraͤnen und Geſchrei, in feuri- ge Gebethe wider die Feinde aus e). Solche Un- men- a) Iliad. Ξ v. 418. b) Iliad. Δ. v. 148. c) Iliad. Λ. v. 439. d) Iliad. Δ. v. 148. e) Iliad. Ε. v. 95. &c.
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Erſtes Waͤldchen.
Waffen a) — aber aufzuſchreien vergißt er. Man
muntert ihn auf, gießt ihm Waſſer ein: er kommt
zu ſich: blickt auf; aber er ſinkt in die Kniee, ſpeiet
ſchwarzes Blut — und doch denkt der Unmenſch
an eins nicht, uͤber ſeine Bruſtſchmerzen, uͤber ſeine
Seitenſtiche zu ſchreien und zu weinen. — So
mit allen Helden Homers, der auch in dieſem
Stuͤcke Charakter beobachtet. Menelaus wird
vom Pfeile Pandarus unvermuthet und im wichtig-
ſten Zeitpunkte getroffen: ſein Blut rinnt: Agame-
mnon faͤhrt zuſammen: Menelaus ſelbſt b); aber
nichts mehr! da er den Pfeil in der Wunde ſieht,
zieht er ihn aus, und laͤßt ſeinen Bruder und ſeine
Mitſoldaten um ſich ſeufzen. Man weiß, daß
Homer eine ordentliche Leiter der Tapferkeit habe,
und er hat ſie auch in dieſer anſcheinlichen Kleinig-
keit ſogar. Ulyſſes c) haͤlt deßwegen ſeinen
Schmerz zuruͤck, weil er die Wunde nicht toͤdtlich
fuͤhlt; Agamemnon und Menelaus fahren d) bei
der Verwundung doch noch zuſammen; aber end-
lich der verwundete Diomedes„ ſtand, rief dem
Sthenelus, ihm den Pfeil aus der Wunde zu zie-
hen; und da das Blut quoll, ſo ſtroͤmte ſeine Em-
pfindung, ſtatt in Thraͤnen und Geſchrei, in feuri-
ge Gebethe wider die Feinde aus e). Solche Un-
men-
a) Iliad. Ξ v. 418.
b) Iliad. Δ. v. 148.
c) Iliad. Λ. v. 439.
d) Iliad. Δ. v. 148.
e) Iliad. Ε. v. 95. &c.
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