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[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.

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Erstes Wäldchen.

Und nach griechischen Begriffen muß auch eine
so häßliche Seele keinen andern, als den häßlichsten
Körper, bewohnen: so schildert ihn Homer: "Am
"Gemüthe der Bösartigste, am Körper der Häß-
"lichste aller Griechen vor Troja a)."

Wo ist nun, daß Homer den Thersites häßlich
macht, um ihn lächerlich zu machen? Jhn als Pos-
senreißer vorführen, will er wahrlich nicht: blos ein
Misverstand des griechischen Ausdrucks b) hat
Hrn. L. und andre dazu verleitet. "Er war so nie-
"derträchtig, sagt Homer, daß er seine Pflicht ver-
"gaß, mit den Königen zankte, sich Prügel ver-
"schaffte, blos, um den Griechen mit seinen Reden
"eine Freude zu machen; -- nichtswürdige Seele!
die alle für so misvergnügt, so häßlich knurrend
hält, als sich selbst, die allen durch ihre Bosheit ei-
nen Gefallen zu thun glaubt. So erkläre ich Ho-
mer, und finde diesen Zug dem ganzen Gemälde
seiner Reden, seiner Handlungen gleich, niederträch-
tig, häßlich. So nimmt ihn Ulysses: er schilt sei-
ne Bosheit, verachtet seine Feigheit, straft seinen
Trotz; so nehmen ihn die Griechen: sie hassen ihn,
hören ihn mit Unwillen, und freuen sich, da sein

Rücken
a) Aikhistos d' aner upo Ilion elde v. 216.
-- -- on khereioteros brotos allos v. 242.
b) Ti oi eisato gelo[fremdsprachliches Material - Zeichen fehlt]on Argeioisin
Emmenai -- -- -- v. 215.
Q 4
Erſtes Waͤldchen.

Und nach griechiſchen Begriffen muß auch eine
ſo haͤßliche Seele keinen andern, als den haͤßlichſten
Koͤrper, bewohnen: ſo ſchildert ihn Homer: „Am
„Gemuͤthe der Boͤsartigſte, am Koͤrper der Haͤß-
„lichſte aller Griechen vor Troja a).„

Wo iſt nun, daß Homer den Therſites haͤßlich
macht, um ihn laͤcherlich zu machen? Jhn als Poſ-
ſenreißer vorfuͤhren, will er wahrlich nicht: blos ein
Misverſtand des griechiſchen Ausdrucks b) hat
Hrn. L. und andre dazu verleitet. „Er war ſo nie-
„dertraͤchtig, ſagt Homer, daß er ſeine Pflicht ver-
„gaß, mit den Koͤnigen zankte, ſich Pruͤgel ver-
„ſchaffte, blos, um den Griechen mit ſeinen Reden
„eine Freude zu machen; — nichtswuͤrdige Seele!
die alle fuͤr ſo misvergnuͤgt, ſo haͤßlich knurrend
haͤlt, als ſich ſelbſt, die allen durch ihre Bosheit ei-
nen Gefallen zu thun glaubt. So erklaͤre ich Ho-
mer, und finde dieſen Zug dem ganzen Gemaͤlde
ſeiner Reden, ſeiner Handlungen gleich, niedertraͤch-
tig, haͤßlich. So nimmt ihn Ulyſſes: er ſchilt ſei-
ne Bosheit, verachtet ſeine Feigheit, ſtraft ſeinen
Trotz; ſo nehmen ihn die Griechen: ſie haſſen ihn,
hoͤren ihn mit Unwillen, und freuen ſich, da ſein

Ruͤcken
a) Αιχιστος δ’ ανηρ υπο Ιλιον ηλδε v. 216.
— — ον χερειοτερος βροτος αλλος v. 242.
b) Τι ὁι εισατο γελο[fremdsprachliches Material – Zeichen fehlt]ον Αργειοισιν
Εμμεναι — — — v. 215.
Q 4
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[247/0253] Erſtes Waͤldchen. Und nach griechiſchen Begriffen muß auch eine ſo haͤßliche Seele keinen andern, als den haͤßlichſten Koͤrper, bewohnen: ſo ſchildert ihn Homer: „Am „Gemuͤthe der Boͤsartigſte, am Koͤrper der Haͤß- „lichſte aller Griechen vor Troja a).„ Wo iſt nun, daß Homer den Therſites haͤßlich macht, um ihn laͤcherlich zu machen? Jhn als Poſ- ſenreißer vorfuͤhren, will er wahrlich nicht: blos ein Misverſtand des griechiſchen Ausdrucks b) hat Hrn. L. und andre dazu verleitet. „Er war ſo nie- „dertraͤchtig, ſagt Homer, daß er ſeine Pflicht ver- „gaß, mit den Koͤnigen zankte, ſich Pruͤgel ver- „ſchaffte, blos, um den Griechen mit ſeinen Reden „eine Freude zu machen; — nichtswuͤrdige Seele! die alle fuͤr ſo misvergnuͤgt, ſo haͤßlich knurrend haͤlt, als ſich ſelbſt, die allen durch ihre Bosheit ei- nen Gefallen zu thun glaubt. So erklaͤre ich Ho- mer, und finde dieſen Zug dem ganzen Gemaͤlde ſeiner Reden, ſeiner Handlungen gleich, niedertraͤch- tig, haͤßlich. So nimmt ihn Ulyſſes: er ſchilt ſei- ne Bosheit, verachtet ſeine Feigheit, ſtraft ſeinen Trotz; ſo nehmen ihn die Griechen: ſie haſſen ihn, hoͤren ihn mit Unwillen, und freuen ſich, da ſein Ruͤcken a) Αιχιστος δ’ ανηρ υπο Ιλιον ηλδε v. 216. — — ον χερειοτερος βροτος αλλος v. 242. b) Τι ὁι εισατο γελο_ ον Αργειοισιν Εμμεναι — — — v. 215. Q 4

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/253>, abgerufen am 23.11.2024.