Uebermannet endlich vom Schmerz unterliegt er; er bricht aus -- aber in Töne der brüllenden Verzweiflung, des wütenden Geschreies? Nichts! in ein trauriges apolola teknon. brukhomai te- knon. papai. apapapa. papa. papa. papa. papai: das sind seine gezognen Klagetöne! Er bittet um die Heldencur, seinen Fuß abzuhauen: er winselt. -- Nichts mehr? Nein, nichts mehr! Er war ausgebrochen, wie Neoptolem sagt, nur in nigen kai stonon in Aechzen und Seufzen, und Ach! wie muß dieß rühren! Sein gekrümm- ter Fuß, sein verzognes Gesicht, seine vom Seufzer erhobene Brust, die vom Aechzen hole Seite, sein halbes Ach! -- -- Weiter geht der Dichter nicht: und um zuvor zu kommen dem Uebertreiben des Ausdrucks, läßt er Philoktet vor Schmerz in Unsinn fallen! So sehr hat er gelitten, so sehr seine Kräfte zusammen gefasset, daß er raset.
Er kommt wieder zu sich! er erholt sich! aber die Krankheit kommt, wie ein verirrter Wandrer wieder: schwarzes Blut sprüht hervor: sein apta- papa sängt an: er bittet, ächzet; ein Fluch auf Ulysses, ein Zorn mit den Göttern, ein Ruff an den Tod, aber alles nur ruckweise, nur Augenbli- cke! der Schmerz läßt nach; und siehe! den Augen- blick der Erholung wendet er an, um den dritten Anfall zu erwarten. Er kommt, und da der thea- tralische Ausdruck nicht höher steigen kann, so läßt
ihn
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Erſtes Waͤldchen.
Uebermannet endlich vom Schmerz unterliegt er; er bricht aus — aber in Toͤne der bruͤllenden Verzweiflung, des wuͤtenden Geſchreies? Nichts! in ein trauriges απωλολα τεκνον. βρυχωμαι τε- κνον. παπαῖ. απαπαπᾶ. παπᾶ. πάπα. πάπα. παπαῖ: das ſind ſeine gezognen Klagetoͤne! Er bittet um die Heldencur, ſeinen Fuß abzuhauen: er winſelt. — Nichts mehr? Nein, nichts mehr! Er war ausgebrochen, wie Neoptolem ſagt, nur in νιγην και στονον in Aechzen und Seufzen, und Ach! wie muß dieß ruͤhren! Sein gekruͤmm- ter Fuß, ſein verzognes Geſicht, ſeine vom Seufzer erhobene Bruſt, die vom Aechzen hole Seite, ſein halbes Ach! — — Weiter geht der Dichter nicht: und um zuvor zu kommen dem Uebertreiben des Ausdrucks, laͤßt er Philoktet vor Schmerz in Unſinn fallen! So ſehr hat er gelitten, ſo ſehr ſeine Kraͤfte zuſammen gefaſſet, daß er raſet.
Er kommt wieder zu ſich! er erholt ſich! aber die Krankheit kommt, wie ein verirrter Wandrer wieder: ſchwarzes Blut ſpruͤht hervor: ſein απτα- παπα ſaͤngt an: er bittet, aͤchzet; ein Fluch auf Ulyſſes, ein Zorn mit den Goͤttern, ein Ruff an den Tod, aber alles nur ruckweiſe, nur Augenbli- cke! der Schmerz laͤßt nach; und ſiehe! den Augen- blick der Erholung wendet er an, um den dritten Anfall zu erwarten. Er kommt, und da der thea- traliſche Ausdruck nicht hoͤher ſteigen kann, ſo laͤßt
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Erſtes Waͤldchen.
Uebermannet endlich vom Schmerz unterliegt
er; er bricht aus — aber in Toͤne der bruͤllenden
Verzweiflung, des wuͤtenden Geſchreies? Nichts!
in ein trauriges απωλολα τεκνον. βρυχωμαι τε-
κνον. παπαῖ. απαπαπᾶ. παπᾶ. πάπα. πάπα.
παπαῖ: das ſind ſeine gezognen Klagetoͤne! Er
bittet um die Heldencur, ſeinen Fuß abzuhauen:
er winſelt. — Nichts mehr? Nein, nichts
mehr! Er war ausgebrochen, wie Neoptolem ſagt,
nur in νιγην και στονον in Aechzen und Seufzen,
und Ach! wie muß dieß ruͤhren! Sein gekruͤmm-
ter Fuß, ſein verzognes Geſicht, ſeine vom Seufzer
erhobene Bruſt, die vom Aechzen hole Seite, ſein
halbes Ach! — — Weiter geht der Dichter
nicht: und um zuvor zu kommen dem Uebertreiben
des Ausdrucks, laͤßt er Philoktet vor Schmerz in
Unſinn fallen! So ſehr hat er gelitten, ſo ſehr ſeine
Kraͤfte zuſammen gefaſſet, daß er raſet.
Er kommt wieder zu ſich! er erholt ſich! aber
die Krankheit kommt, wie ein verirrter Wandrer
wieder: ſchwarzes Blut ſpruͤht hervor: ſein απτα-
παπα ſaͤngt an: er bittet, aͤchzet; ein Fluch auf
Ulyſſes, ein Zorn mit den Goͤttern, ein Ruff an
den Tod, aber alles nur ruckweiſe, nur Augenbli-
cke! der Schmerz laͤßt nach; und ſiehe! den Augen-
blick der Erholung wendet er an, um den dritten
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[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/25>, abgerufen am 16.02.2025.
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