zweck des Dichters!) ein energisches Bild zu hören: wobei wir nicht durch successive Töne malerisch, sondern in jedem Tone energisch getäuscht wer- den, daß wir zusammen fahren sollen, wenn endlich ein solcher Bogen trifft.
Ein gleiches gilt vom Zepter Agamemnons: ich betrachte die Geschichte desselben gar nicht "als "einen Kunstgriff, uns bei einem einzelnen Dinge "verweilen zu machen, ohne sich in die frostige Be- "schreibung seiner Theile einzulassen a)." Sein Zepter ist ein uraltes, königliches, göttliches Zep- ter! Der Begriff soll wirken; um alle andre Kunst- griffe und Allegorien bleibe ich unbekümmert.
Der Wagen der Juno wird beschrieben b): wa- rum? natürlich, weil ich ohne den Dichter, diesen Wagen nicht gesehen, weil ich ihn erst kennen lernen muß, um einen himmlischen Wagen zu kennen. Warum wird er zusammengesetzt? Natürlich, weil wir einen himmlischen Wagen nie so gut kennen ler- nen, als wenn er erst in seinen Theilen da liegt, und zusammen gesetzt wird. Um also die Vortreff- lichkeit dieses Götterwagens, um den innern Werth aller seiner Theile, um seinen künstlichen Bau zu schildern, wird er zusammen gesetzt: nicht aber, um diese Theile successiv zu sammlen, da man sie coexsi- stent nicht sehen kan. Das Zusammensetzen ist hier
kein
a) Laok. p. 159 -- 63.
b)Iliad. E. v. 722. -- 731.
Kritiſche Waͤlder.
zweck des Dichters!) ein energiſches Bild zu hoͤren: wobei wir nicht durch ſucceſſive Toͤne maleriſch, ſondern in jedem Tone energiſch getaͤuſcht wer- den, daß wir zuſammen fahren ſollen, wenn endlich ein ſolcher Bogen trifft.
Ein gleiches gilt vom Zepter Agamemnons: ich betrachte die Geſchichte deſſelben gar nicht „als „einen Kunſtgriff, uns bei einem einzelnen Dinge „verweilen zu machen, ohne ſich in die froſtige Be- „ſchreibung ſeiner Theile einzulaſſen a).„ Sein Zepter iſt ein uraltes, koͤnigliches, goͤttliches Zep- ter! Der Begriff ſoll wirken; um alle andre Kunſt- griffe und Allegorien bleibe ich unbekuͤmmert.
Der Wagen der Juno wird beſchrieben b): wa- rum? natuͤrlich, weil ich ohne den Dichter, dieſen Wagen nicht geſehen, weil ich ihn erſt kennen lernen muß, um einen himmliſchen Wagen zu kennen. Warum wird er zuſammengeſetzt? Natuͤrlich, weil wir einen himmliſchen Wagen nie ſo gut kennen ler- nen, als wenn er erſt in ſeinen Theilen da liegt, und zuſammen geſetzt wird. Um alſo die Vortreff- lichkeit dieſes Goͤtterwagens, um den innern Werth aller ſeiner Theile, um ſeinen kuͤnſtlichen Bau zu ſchildern, wird er zuſammen geſetzt: nicht aber, um dieſe Theile ſucceſſiv zu ſammlen, da man ſie coexſi- ſtent nicht ſehen kan. Das Zuſammenſetzen iſt hier
kein
a) Laok. p. 159 — 63.
b)Iliad. Ε. v. 722. — 731.
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Kritiſche Waͤlder.
zweck des Dichters!) ein energiſches Bild zu hoͤren:
wobei wir nicht durch ſucceſſive Toͤne maleriſch,
ſondern in jedem Tone energiſch getaͤuſcht wer-
den, daß wir zuſammen fahren ſollen, wenn
endlich ein ſolcher Bogen trifft.
Ein gleiches gilt vom Zepter Agamemnons:
ich betrachte die Geſchichte deſſelben gar nicht „als
„einen Kunſtgriff, uns bei einem einzelnen Dinge
„verweilen zu machen, ohne ſich in die froſtige Be-
„ſchreibung ſeiner Theile einzulaſſen a).„ Sein
Zepter iſt ein uraltes, koͤnigliches, goͤttliches Zep-
ter! Der Begriff ſoll wirken; um alle andre Kunſt-
griffe und Allegorien bleibe ich unbekuͤmmert.
Der Wagen der Juno wird beſchrieben b): wa-
rum? natuͤrlich, weil ich ohne den Dichter, dieſen
Wagen nicht geſehen, weil ich ihn erſt kennen lernen
muß, um einen himmliſchen Wagen zu kennen.
Warum wird er zuſammengeſetzt? Natuͤrlich, weil
wir einen himmliſchen Wagen nie ſo gut kennen ler-
nen, als wenn er erſt in ſeinen Theilen da liegt,
und zuſammen geſetzt wird. Um alſo die Vortreff-
lichkeit dieſes Goͤtterwagens, um den innern Werth
aller ſeiner Theile, um ſeinen kuͤnſtlichen Bau zu
ſchildern, wird er zuſammen geſetzt: nicht aber, um
dieſe Theile ſucceſſiv zu ſammlen, da man ſie coexſi-
ſtent nicht ſehen kan. Das Zuſammenſetzen iſt hier
kein
a) Laok. p. 159 — 63.
b) Iliad. Ε. v. 722. — 731.
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[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/226>, abgerufen am 16.07.2024.
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