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[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.

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Erstes Wäldchen.
"mäß, erst mit dem Dinge, und dann mit seinen
"Zufälligkeiten bekannt. Diesen Vortheil hat
"unsre Sprache nicht." Keine neuere Sprache
hat ihn, die zur Prose ursprünglich gebildet
worden.

Und wenn in diesem Fortschreitenden eben
Homers Manier bestehet: und seine Sprache (er
pflanzte sie auf seine Dichter fort) und nur seine
Sprache dies Fortschreitende zur Manier, zum Ge-
setze ihrer Zusammenordnung macht: wie in einer
Uebersetzung; so wird Homer in einer Uebersetzung
nach dieser neuen Construktionsmanier, die einmal
ein Gesetz unsrer Sprachen geworden, seine Ma-
nier,
das Wesen seiner Poesie, das mit jedem Zu-
ge Fortschreitende verlieren: er wird prosaisirt
werden. Prosaisirt, nicht in den Farben, in den
Figuren seiner Bilder: sondern in der Art ihrer
Stellung, in Composition und Manier, und da
denke ich, hat er mehr verlohren, als durch jedes
Andere! Ein solcher Verlust geht die Art des Aus-
drucks in seinem ganzen Werke durch, er ist der
größte, denn er hindert den Gang seiner Muse.

Jch nehme sein Bild vom herabsteigenden Apol-
lo, und sage: So weit das Leben über das Gemäl-
de geht, so weit ist hier der Dichter über den Pro-
saisten einer neuern Sprache: Apollo steigt von den
Höhen des Olympus: ergrimmt: Bogen und Kö-
cher auf der Schulter. Jch sehe ihn nicht allein

herab-

Erſtes Waͤldchen.
„maͤß, erſt mit dem Dinge, und dann mit ſeinen
„Zufaͤlligkeiten bekannt. Dieſen Vortheil hat
„unſre Sprache nicht.„ Keine neuere Sprache
hat ihn, die zur Proſe urſpruͤnglich gebildet
worden.

Und wenn in dieſem Fortſchreitenden eben
Homers Manier beſtehet: und ſeine Sprache (er
pflanzte ſie auf ſeine Dichter fort) und nur ſeine
Sprache dies Fortſchreitende zur Manier, zum Ge-
ſetze ihrer Zuſammenordnung macht: wie in einer
Ueberſetzung; ſo wird Homer in einer Ueberſetzung
nach dieſer neuen Conſtruktionsmanier, die einmal
ein Geſetz unſrer Sprachen geworden, ſeine Ma-
nier,
das Weſen ſeiner Poeſie, das mit jedem Zu-
ge Fortſchreitende verlieren: er wird proſaiſirt
werden. Proſaiſirt, nicht in den Farben, in den
Figuren ſeiner Bilder: ſondern in der Art ihrer
Stellung, in Compoſition und Manier, und da
denke ich, hat er mehr verlohren, als durch jedes
Andere! Ein ſolcher Verluſt geht die Art des Aus-
drucks in ſeinem ganzen Werke durch, er iſt der
groͤßte, denn er hindert den Gang ſeiner Muſe.

Jch nehme ſein Bild vom herabſteigenden Apol-
lo, und ſage: So weit das Leben uͤber das Gemaͤl-
de geht, ſo weit iſt hier der Dichter uͤber den Pro-
ſaiſten einer neuern Sprache: Apollo ſteigt von den
Hoͤhen des Olympus: ergrimmt: Bogen und Koͤ-
cher auf der Schulter. Jch ſehe ihn nicht allein

herab-
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[189/0195] Erſtes Waͤldchen. „maͤß, erſt mit dem Dinge, und dann mit ſeinen „Zufaͤlligkeiten bekannt. Dieſen Vortheil hat „unſre Sprache nicht.„ Keine neuere Sprache hat ihn, die zur Proſe urſpruͤnglich gebildet worden. Und wenn in dieſem Fortſchreitenden eben Homers Manier beſtehet: und ſeine Sprache (er pflanzte ſie auf ſeine Dichter fort) und nur ſeine Sprache dies Fortſchreitende zur Manier, zum Ge- ſetze ihrer Zuſammenordnung macht: wie in einer Ueberſetzung; ſo wird Homer in einer Ueberſetzung nach dieſer neuen Conſtruktionsmanier, die einmal ein Geſetz unſrer Sprachen geworden, ſeine Ma- nier, das Weſen ſeiner Poeſie, das mit jedem Zu- ge Fortſchreitende verlieren: er wird proſaiſirt werden. Proſaiſirt, nicht in den Farben, in den Figuren ſeiner Bilder: ſondern in der Art ihrer Stellung, in Compoſition und Manier, und da denke ich, hat er mehr verlohren, als durch jedes Andere! Ein ſolcher Verluſt geht die Art des Aus- drucks in ſeinem ganzen Werke durch, er iſt der groͤßte, denn er hindert den Gang ſeiner Muſe. Jch nehme ſein Bild vom herabſteigenden Apol- lo, und ſage: So weit das Leben uͤber das Gemaͤl- de geht, ſo weit iſt hier der Dichter uͤber den Pro- ſaiſten einer neuern Sprache: Apollo ſteigt von den Hoͤhen des Olympus: ergrimmt: Bogen und Koͤ- cher auf der Schulter. Jch ſehe ihn nicht allein herab-

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/195>, abgerufen am 09.05.2024.