[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.Erstes Wäldchen. "anstatt des entrückten Körpers einen Nebel gese-"hen, sondern weil wir das, was in einem Nebel "ist, unsichtbar denken." Welche Unterscheidun- gen! welche Amphibolien! "Keinen wirklichen "Nebel sahe Achilles nicht." Ja! der poetische Held sahe ihn, und dreimal stieß er noch mit seinem Spieße nach dem Nebel. "Das Kunststück, wo- "mit die Götter unsichtbar machten, bestand in der "schnellen Entrückung!" Wunderbar! wo ich mir schon wirksame Götter, eine wunderbare Entrückung denken kann, und denke; bin ich da nicht ein Scru- pler, am Nebel abdingen zu wollen? "Nur weil die "Entrückung schnell vorgieng, hüllt ihn der Dichter "ein; nicht, weil man einen Nebel gesehen, sondern, "weil wir das, was in einem Nebel ist, unsichtbar "denken." So! und deßwegen stößt Achilles dreimal nach dem Nebel, nicht, weil er einen Nebel sahe, sondern, weil er das, was in einem Nebel ist, sich als unsichtbar dachte! O der homerische Don- Quixote! o der cervantische Homer! "Neptun verfinstert die Augen Achilles; in von
Erſtes Waͤldchen. „anſtatt des entruͤckten Koͤrpers einen Nebel geſe-„hen, ſondern weil wir das, was in einem Nebel „iſt, unſichtbar denken.„ Welche Unterſcheidun- gen! welche Amphibolien! „Keinen wirklichen „Nebel ſahe Achilles nicht.„ Ja! der poetiſche Held ſahe ihn, und dreimal ſtieß er noch mit ſeinem Spieße nach dem Nebel. „Das Kunſtſtuͤck, wo- „mit die Goͤtter unſichtbar machten, beſtand in der „ſchnellen Entruͤckung!„ Wunderbar! wo ich mir ſchon wirkſame Goͤtter, eine wunderbare Entruͤckung denken kann, und denke; bin ich da nicht ein Scru- pler, am Nebel abdingen zu wollen? „Nur weil die „Entruͤckung ſchnell vorgieng, huͤllt ihn der Dichter „ein; nicht, weil man einen Nebel geſehen, ſondern, „weil wir das, was in einem Nebel iſt, unſichtbar „denken.„ So! und deßwegen ſtoͤßt Achilles dreimal nach dem Nebel, nicht, weil er einen Nebel ſahe, ſondern, weil er das, was in einem Nebel iſt, ſich als unſichtbar dachte! O der homeriſche Don- Quixote! o der cervantiſche Homer! „Neptun verfinſtert die Augen Achilles; in von
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Erſtes Waͤldchen.
„anſtatt des entruͤckten Koͤrpers einen Nebel geſe-
„hen, ſondern weil wir das, was in einem Nebel
„iſt, unſichtbar denken.„ Welche Unterſcheidun-
gen! welche Amphibolien! „Keinen wirklichen
„Nebel ſahe Achilles nicht.„ Ja! der poetiſche
Held ſahe ihn, und dreimal ſtieß er noch mit ſeinem
Spieße nach dem Nebel. „Das Kunſtſtuͤck, wo-
„mit die Goͤtter unſichtbar machten, beſtand in der
„ſchnellen Entruͤckung!„ Wunderbar! wo ich mir
ſchon wirkſame Goͤtter, eine wunderbare Entruͤckung
denken kann, und denke; bin ich da nicht ein Scru-
pler, am Nebel abdingen zu wollen? „Nur weil die
„Entruͤckung ſchnell vorgieng, huͤllt ihn der Dichter
„ein; nicht, weil man einen Nebel geſehen, ſondern,
„weil wir das, was in einem Nebel iſt, unſichtbar
„denken.„ So! und deßwegen ſtoͤßt Achilles
dreimal nach dem Nebel, nicht, weil er einen Nebel
ſahe, ſondern, weil er das, was in einem Nebel iſt,
ſich als unſichtbar dachte! O der homeriſche Don-
Quixote! o der cervantiſche Homer!
„Neptun verfinſtert die Augen Achilles; in
„der That aber ſind des Achilles Augen nicht ver-
„finſtert, ſondern — —„ Was man uns doch
ſagen will! Neptun gießt dem Achilles Dunkel um
die Augen, er ruͤckt Aeneas fort: er hat ihn in Si-
cherheit gebracht, ihn ermahnt, nicht wider Achil-
les zu ſtreiten, ihn verlaſſen — nun muß er erſt
zuruͤck kommen, um dem Achilles den Nebel
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