Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 10. Riga, 1797.Der tapfre Bruder überstand die Reihe Der Uebel, überstand sogar zuletzt Der Uebel schrecklichstes, die Blattern. Er War folgsam, fleißig und gefällig, fand Sich ein zum Unterricht; doch immer still. Ich ahnte nichts. Da kam ein Indianer, Und sprach geheim: "mein Pater, unser Waldmann (Ich fürcht' es) ist dem Wahnsinn nah. Er klagt Zwar keine Schmerzen; aber "jede Nacht, Spricht er, erscheint mir wachend meine Mutter Und meine Schwester. Immer sprechen sie: Ich bitte, laß dich taufen: denn wir holen Dich bald und unvermuthet ab, o Sohn, O Bruder, in die grünen Schatten." -- Also Spricht täglich er; und kennt den Schlaf nicht mehr." Ich eilte zu ihm, sprach ihm Muth zu. Heiter Der tapfre Bruder uͤberſtand die Reihe Der Uebel, uͤberſtand ſogar zuletzt Der Uebel ſchrecklichſtes, die Blattern. Er War folgſam, fleißig und gefaͤllig, fand Sich ein zum Unterricht; doch immer ſtill. Ich ahnte nichts. Da kam ein Indianer, Und ſprach geheim: „mein Pater, unſer Waldmann (Ich fuͤrcht' es) iſt dem Wahnſinn nah. Er klagt Zwar keine Schmerzen; aber „jede Nacht, Spricht er, erſcheint mir wachend meine Mutter Und meine Schweſter. Immer ſprechen ſie: Ich bitte, laß dich taufen: denn wir holen Dich bald und unvermuthet ab, o Sohn, O Bruder, in die gruͤnen Schatten.“ — Alſo Spricht taͤglich er; und kennt den Schlaf nicht mehr.“ Ich eilte zu ihm, ſprach ihm Muth zu. Heiter <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0096" n="89"/> <lg n="5"> <l>Der tapfre Bruder uͤberſtand die Reihe</l><lb/> <l>Der Uebel, uͤberſtand ſogar zuletzt</l><lb/> <l>Der Uebel ſchrecklichſtes, die Blattern. Er</l><lb/> <l>War folgſam, fleißig und gefaͤllig, fand</l><lb/> <l>Sich ein zum Unterricht; doch immer ſtill.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Ich ahnte nichts. Da kam ein Indianer,</l><lb/> <l>Und ſprach geheim: „mein Pater, unſer</l><lb/> <l>Waldmann</l><lb/> <l>(Ich fuͤrcht' es) iſt dem Wahnſinn nah. Er klagt</l><lb/> <l>Zwar keine Schmerzen; aber „jede Nacht,</l><lb/> <l>Spricht er, erſcheint mir wachend meine</l><lb/> <l>Mutter</l><lb/> <l>Und meine Schweſter. Immer ſprechen ſie:</l><lb/> <l>Ich bitte, laß dich taufen: denn wir holen</l><lb/> <l>Dich bald und unvermuthet ab, o Sohn,</l><lb/> <l>O Bruder, in die gruͤnen Schatten.“ — Alſo</l><lb/> <l>Spricht taͤglich er; und kennt den Schlaf</l><lb/> <l>nicht mehr.“</l> </lg><lb/> <lg n="7"> <l>Ich eilte zu ihm, ſprach ihm Muth zu.</l><lb/> <l>Heiter</l><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [89/0096]
Der tapfre Bruder uͤberſtand die Reihe
Der Uebel, uͤberſtand ſogar zuletzt
Der Uebel ſchrecklichſtes, die Blattern. Er
War folgſam, fleißig und gefaͤllig, fand
Sich ein zum Unterricht; doch immer ſtill.
Ich ahnte nichts. Da kam ein Indianer,
Und ſprach geheim: „mein Pater, unſer
Waldmann
(Ich fuͤrcht' es) iſt dem Wahnſinn nah. Er klagt
Zwar keine Schmerzen; aber „jede Nacht,
Spricht er, erſcheint mir wachend meine
Mutter
Und meine Schweſter. Immer ſprechen ſie:
Ich bitte, laß dich taufen: denn wir holen
Dich bald und unvermuthet ab, o Sohn,
O Bruder, in die gruͤnen Schatten.“ — Alſo
Spricht taͤglich er; und kennt den Schlaf
nicht mehr.“
Ich eilte zu ihm, ſprach ihm Muth zu.
Heiter
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Zitationshilfe: | Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 10. Riga, 1797, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet10_1797/96>, abgerufen am 22.07.2024. |