Von Güssen überströmt. Es laureten Auf uns die Tiger. Endlich kamen wir In unserm Flecken an. Dem Jüngling war Beschwerlich unsre Kleidung; eingepreßt Konnt' er in ihr nicht schreiten, klettern nicht Auf Bäume, die hier fehlten. Er vermißte Das schöne Grün, den dunkeln kühlen Wald. Und ob wir dann und wann mitleidig auch Sie in entlegne Schatten führten; ach! Es war nicht ihr geliebter Schatte. Brennend, Verzehrend lag auf ihnen hier die Glut Der Sonne. Fieber, Kopf- und Augenweh, Und tiefe Schwermuth, Eckel aller Speisen, Kraftlosigkeit, Auszehrung folgeten. Am ersten schwand die Mutter hin; sie ward Getauft und starb mit christlicher Ergebung. Die Tochter, Arapotija, die Blüthe Des Tages sonst, man kannte sie nicht mehr. Verblühet war sie und verdorrt; sie folgte Der Mutter bald ins Grab. Ihr folgeten Viel Thränen: denn sie war die Unschuld selbst.
Von Guͤſſen uͤberſtroͤmt. Es laureten Auf uns die Tiger. Endlich kamen wir In unſerm Flecken an. Dem Juͤngling war Beſchwerlich unſre Kleidung; eingepreßt Konnt' er in ihr nicht ſchreiten, klettern nicht Auf Baͤume, die hier fehlten. Er vermißte Das ſchoͤne Gruͤn, den dunkeln kuͤhlen Wald. Und ob wir dann und wann mitleidig auch Sie in entlegne Schatten fuͤhrten; ach! Es war nicht ihr geliebter Schatte. Brennend, Verzehrend lag auf ihnen hier die Glut Der Sonne. Fieber, Kopf- und Augenweh, Und tiefe Schwermuth, Eckel aller Speiſen, Kraftloſigkeit, Auszehrung folgeten. Am erſten ſchwand die Mutter hin; ſie ward Getauft und ſtarb mit chriſtlicher Ergebung. Die Tochter, Arapotija, die Bluͤthe Des Tages ſonſt, man kannte ſie nicht mehr. Verbluͤhet war ſie und verdorrt; ſie folgte Der Mutter bald ins Grab. Ihr folgeten Viel Thraͤnen: denn ſie war die Unſchuld ſelbſt.
<TEI><text><body><divn="1"><lgtype="poem"><lgn="4"><pbfacs="#f0095"n="88"/><l>Von Guͤſſen uͤberſtroͤmt. Es laureten</l><lb/><l>Auf uns die Tiger. Endlich kamen wir</l><lb/><l>In unſerm Flecken an. Dem Juͤngling war</l><lb/><l>Beſchwerlich unſre Kleidung; eingepreßt</l><lb/><l>Konnt' er in ihr nicht ſchreiten, klettern nicht</l><lb/><l>Auf Baͤume, die hier fehlten. Er vermißte</l><lb/><l>Das ſchoͤne Gruͤn, den dunkeln kuͤhlen Wald.</l><lb/><l>Und ob wir dann und wann mitleidig auch</l><lb/><l>Sie in entlegne Schatten fuͤhrten; ach!</l><lb/><l>Es war nicht ihr geliebter Schatte. Brennend,</l><lb/><l>Verzehrend lag auf ihnen hier die Glut</l><lb/><l>Der Sonne. Fieber, Kopf- und Augenweh,</l><lb/><l>Und tiefe Schwermuth, Eckel aller Speiſen,</l><lb/><l>Kraftloſigkeit, Auszehrung folgeten.</l><lb/><l>Am erſten ſchwand die Mutter hin; ſie ward</l><lb/><l>Getauft und ſtarb mit chriſtlicher Ergebung.</l><lb/><l>Die Tochter, Arapotija, die <hirendition="#g">Bluͤthe</hi></l><lb/><l><hirendition="#g">Des Tages</hi>ſonſt, man kannte ſie nicht mehr.</l><lb/><l>Verbluͤhet war ſie und verdorrt; ſie folgte</l><lb/><l>Der Mutter bald ins Grab. Ihr folgeten</l><lb/><l>Viel Thraͤnen: denn ſie war die Unſchuld</l><lb/><l>ſelbſt.</l></lg><lb/></lg></div></body></text></TEI>
[88/0095]
Von Guͤſſen uͤberſtroͤmt. Es laureten
Auf uns die Tiger. Endlich kamen wir
In unſerm Flecken an. Dem Juͤngling war
Beſchwerlich unſre Kleidung; eingepreßt
Konnt' er in ihr nicht ſchreiten, klettern nicht
Auf Baͤume, die hier fehlten. Er vermißte
Das ſchoͤne Gruͤn, den dunkeln kuͤhlen Wald.
Und ob wir dann und wann mitleidig auch
Sie in entlegne Schatten fuͤhrten; ach!
Es war nicht ihr geliebter Schatte. Brennend,
Verzehrend lag auf ihnen hier die Glut
Der Sonne. Fieber, Kopf- und Augenweh,
Und tiefe Schwermuth, Eckel aller Speiſen,
Kraftloſigkeit, Auszehrung folgeten.
Am erſten ſchwand die Mutter hin; ſie ward
Getauft und ſtarb mit chriſtlicher Ergebung.
Die Tochter, Arapotija, die Bluͤthe
Des Tages ſonſt, man kannte ſie nicht mehr.
Verbluͤhet war ſie und verdorrt; ſie folgte
Der Mutter bald ins Grab. Ihr folgeten
Viel Thraͤnen: denn ſie war die Unſchuld
ſelbſt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 10. Riga, 1797, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet10_1797/95>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.