Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797.Was haben wir denn in der Welt schätz- Sprach-
Was haben wir denn in der Welt ſchaͤtz- Sprach-
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Was haben wir denn in der Welt ſchaͤtz-
bareres als die wahre Welt wirklicher
Herzen und Geiſter? Daß wir unſre Ge-
danken und Gefuͤhle in ihrer eigenſten
Geſtalt anerkennen und ſie andern auf die
treueſte, unbefangenſte Art aͤußern, daß
andre dagegen uns ihre Gedanken, ihre
Empfindungen wiedergeben, kurz, daß je-
der Vogel ſinge, wie die Natur ihn ſingen
hieß? Iſt dies Licht erloͤſcht, dieſe Flam-
me erſtickt, dies urſpruͤngliche Band zwi-
ſchen den Gemuͤthern zerriſſen oder verzau-
ſet; ſtatt des allen ſagen wir auswendig-
gelernte, fremde, armſelige Phraſeologieen
her; o des Jammers! der ewigen Flach-
heit und Falſchheit! Eine Geiſt- und Herz-
austrocknende Duͤrre und Kaͤlte. Den ei-
gentlichen Beſitzern dieſer Sprache gnuͤgt
ſolche: denn ſie leben in ihr; ſie beleben
ſie mit ihrer froͤhlichen Leichtigkeit und
Sprach-
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Zitationshilfe: | Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 9. Riga, 1797, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet09_1797/55>, abgerufen am 16.02.2025. |