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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 7. Riga, 1796.

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Kühnheit seine Ernährerinn, unzähliche Sa-
gen seine Nachkommenschaft und ihr gro-
ßer Mentor, der Glaube. Wenn Mönche
dergleichen Erzählungen in ihre Chroniken
aufnahmen und ihre Legenden selbst dar-
nach schrieben: so thaten sie es nicht im-
mer aus Lust zu betrügen. Es war Ge-
schmack und sogar Kreis des Wissens,
Denkart der Zeit; eine ächte Mönchschro-
nik mußte vom Anfange der Welt anfan-
gen und in bestimmten Zeiträumen durch
Fabel und Geschichte der Griechen und Rö-
mer, (Geschichte und Dichtung auf Einem
Grunde betrachtet) bis zum Ende der Welt
fortgehn; das war der gegebene Umriß.
Eben nach den Begebenheiten der Zeit,
die allesamt geistliche und weltliche
Abentheuer
waren, formte sich der Um-
riß der Erzählung, bildete sich der Ton
des Ganzen. Mehr als Eine Chronik der

Kuͤhnheit ſeine Ernaͤhrerinn, unzaͤhliche Sa-
gen ſeine Nachkommenſchaft und ihr gro-
ßer Mentor, der Glaube. Wenn Moͤnche
dergleichen Erzaͤhlungen in ihre Chroniken
aufnahmen und ihre Legenden ſelbſt dar-
nach ſchrieben: ſo thaten ſie es nicht im-
mer aus Luſt zu betruͤgen. Es war Ge-
ſchmack und ſogar Kreis des Wiſſens,
Denkart der Zeit; eine aͤchte Moͤnchschro-
nik mußte vom Anfange der Welt anfan-
gen und in beſtimmten Zeitraͤumen durch
Fabel und Geſchichte der Griechen und Roͤ-
mer, (Geſchichte und Dichtung auf Einem
Grunde betrachtet) bis zum Ende der Welt
fortgehn; das war der gegebene Umriß.
Eben nach den Begebenheiten der Zeit,
die alleſamt geiſtliche und weltliche
Abentheuer
waren, formte ſich der Um-
riß der Erzaͤhlung, bildete ſich der Ton
des Ganzen. Mehr als Eine Chronik der

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[71/0088] Kuͤhnheit ſeine Ernaͤhrerinn, unzaͤhliche Sa- gen ſeine Nachkommenſchaft und ihr gro- ßer Mentor, der Glaube. Wenn Moͤnche dergleichen Erzaͤhlungen in ihre Chroniken aufnahmen und ihre Legenden ſelbſt dar- nach ſchrieben: ſo thaten ſie es nicht im- mer aus Luſt zu betruͤgen. Es war Ge- ſchmack und ſogar Kreis des Wiſſens, Denkart der Zeit; eine aͤchte Moͤnchschro- nik mußte vom Anfange der Welt anfan- gen und in beſtimmten Zeitraͤumen durch Fabel und Geſchichte der Griechen und Roͤ- mer, (Geſchichte und Dichtung auf Einem Grunde betrachtet) bis zum Ende der Welt fortgehn; das war der gegebene Umriß. Eben nach den Begebenheiten der Zeit, die alleſamt geiſtliche und weltliche Abentheuer waren, formte ſich der Um- riß der Erzaͤhlung, bildete ſich der Ton des Ganzen. Mehr als Eine Chronik der

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 7. Riga, 1796, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet07_1796/88>, abgerufen am 21.11.2024.