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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

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sammenhang, Einfalt und Wahrheit. So manchen Keim
der Physik und Geschichte jene enthalten: so liegt alles, wie
es durch die Uebergabe der ungeschriebenen oder dichtenden
Priester- und Volkstradition werden mußte, wild durch ein-
ander, ein fabelhaftes Chaos wie beim Anfange der Welt-
schöpfung. Dieser Naturweise hat das Chaos überwunden
und stellt uns ein Gebäude dar, das in seiner Einfalt und
Verbindung der Ordnungreichen Natur selbst nachahmet.
Wie kam er zu dieser Ordnung und Einfalt? Wir dörfen ihn
nur mit den Fabeln andrer Völker vergleichen, so sehen wir
den Grund seiner reinern Philosophie der Erd- und Menschen-
geschichte.

Erstens. Alles für Menschen unbegreifliche, außer
ihrem Gesichtskreis liegende ließ er weg und hielt sich an Das,
was wir mit Augen sehen und mit unserm Gedächtniß umfas-
sen können. Welche Frage z. B. hat mehr Streit erreget,
als die über das Alter der Welt, über die Zeitdauer unsrer
Erde und des Menschengeschlechtes? Man hat die Asiatischen
Völker mit ihren unendlichen Zeitrechnungen für unendlich
klug, die Tradition, von der wir reden, für unendlich kindisch
gehalten, weil sie, wie man sagt, gegen alle Vernunft, ja ge-
gen das offenbare Zeugniß des Erdbaues, mit der Schöpfung
wie mit einer Kleinigkeit dahineilet und das Menschengeschlecht

so

ſammenhang, Einfalt und Wahrheit. So manchen Keim
der Phyſik und Geſchichte jene enthalten: ſo liegt alles, wie
es durch die Uebergabe der ungeſchriebenen oder dichtenden
Prieſter- und Volkstradition werden mußte, wild durch ein-
ander, ein fabelhaftes Chaos wie beim Anfange der Welt-
ſchoͤpfung. Dieſer Naturweiſe hat das Chaos uͤberwunden
und ſtellt uns ein Gebaͤude dar, das in ſeiner Einfalt und
Verbindung der Ordnungreichen Natur ſelbſt nachahmet.
Wie kam er zu dieſer Ordnung und Einfalt? Wir doͤrfen ihn
nur mit den Fabeln andrer Voͤlker vergleichen, ſo ſehen wir
den Grund ſeiner reinern Philoſophie der Erd- und Menſchen-
geſchichte.

Erſtens. Alles fuͤr Menſchen unbegreifliche, außer
ihrem Geſichtskreis liegende ließ er weg und hielt ſich an Das,
was wir mit Augen ſehen und mit unſerm Gedaͤchtniß umfaſ-
ſen koͤnnen. Welche Frage z. B. hat mehr Streit erreget,
als die uͤber das Alter der Welt, uͤber die Zeitdauer unſrer
Erde und des Menſchengeſchlechtes? Man hat die Aſiatiſchen
Voͤlker mit ihren unendlichen Zeitrechnungen fuͤr unendlich
klug, die Tradition, von der wir reden, fuͤr unendlich kindiſch
gehalten, weil ſie, wie man ſagt, gegen alle Vernunft, ja ge-
gen das offenbare Zeugniß des Erdbaues, mit der Schoͤpfung
wie mit einer Kleinigkeit dahineilet und das Menſchengeſchlecht

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[327/0339] ſammenhang, Einfalt und Wahrheit. So manchen Keim der Phyſik und Geſchichte jene enthalten: ſo liegt alles, wie es durch die Uebergabe der ungeſchriebenen oder dichtenden Prieſter- und Volkstradition werden mußte, wild durch ein- ander, ein fabelhaftes Chaos wie beim Anfange der Welt- ſchoͤpfung. Dieſer Naturweiſe hat das Chaos uͤberwunden und ſtellt uns ein Gebaͤude dar, das in ſeiner Einfalt und Verbindung der Ordnungreichen Natur ſelbſt nachahmet. Wie kam er zu dieſer Ordnung und Einfalt? Wir doͤrfen ihn nur mit den Fabeln andrer Voͤlker vergleichen, ſo ſehen wir den Grund ſeiner reinern Philoſophie der Erd- und Menſchen- geſchichte. Erſtens. Alles fuͤr Menſchen unbegreifliche, außer ihrem Geſichtskreis liegende ließ er weg und hielt ſich an Das, was wir mit Augen ſehen und mit unſerm Gedaͤchtniß umfaſ- ſen koͤnnen. Welche Frage z. B. hat mehr Streit erreget, als die uͤber das Alter der Welt, uͤber die Zeitdauer unſrer Erde und des Menſchengeſchlechtes? Man hat die Aſiatiſchen Voͤlker mit ihren unendlichen Zeitrechnungen fuͤr unendlich klug, die Tradition, von der wir reden, fuͤr unendlich kindiſch gehalten, weil ſie, wie man ſagt, gegen alle Vernunft, ja ge- gen das offenbare Zeugniß des Erdbaues, mit der Schoͤpfung wie mit einer Kleinigkeit dahineilet und das Menſchengeſchlecht ſo

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/339>, abgerufen am 25.11.2024.