so jung macht. Mich dünkt, man thue ihr hierinn offenbar Unrecht. Wenn Moses wenigstens der Sammler dieser alten Traditionen war: so konnten ihm, dem gelehrten Aegyptier, jene Götter- und Halbgötter-Aeonen nicht unbekannt seyn, mit denen dieses Volk, wie alle Nationen Asiens die Geschich- te der Welt anfiengen. Warum webte er sie also seinen Nach- richten nicht ein? warum rückte er ihnen gleichsam zum Trotz und zur Verachtung, die Weltentstehung in das Symbol des kleinsten Zeitlaufs zusammen? Offenbar, weil er jene abschnei- den und als unnütze Fabel aus dem Gedächtniß der Menschen hinwegbringen wollte. Mich dünkt, er handelte hierinn weise: denn jenseit der Grenzen unsrer ausgebildeten Erde, d. i. vor Entstehung des Menschengeschlechts und seiner zusammenhan- genden Geschichte giebt es für uns keine Zeitrechnung, die diesen Namen verdiene. Lasset Buffon seinen sechs ersten Epochen der Natur Zahlen geben, wie groß er sie wolle, von 26000, von 35000, von 15-20000, von 10,000 Jahren u. f.; der menschliche Verstand, der seine Schranken fühlet, lacht über diese Zahlen der Einbildungskraft, gesetzt, daß er auch die Entwicklung der Epochen selbst wahr fände; noch weniger aber wünscht das historische Gedächtniß sich mit ihnen zu beschweren. Nun sind die ältesten ungeheuren Zeitrechnun- gen der Völker offenbar von dieser Buffonschen Art: sie lau- fen nemlich in Zeitalter, da die Götter- und Weltkräfte re-
giert
ſo jung macht. Mich duͤnkt, man thue ihr hierinn offenbar Unrecht. Wenn Moſes wenigſtens der Sammler dieſer alten Traditionen war: ſo konnten ihm, dem gelehrten Aegyptier, jene Goͤtter- und Halbgoͤtter-Aeonen nicht unbekannt ſeyn, mit denen dieſes Volk, wie alle Nationen Aſiens die Geſchich- te der Welt anfiengen. Warum webte er ſie alſo ſeinen Nach- richten nicht ein? warum ruͤckte er ihnen gleichſam zum Trotz und zur Verachtung, die Weltentſtehung in das Symbol des kleinſten Zeitlaufs zuſammen? Offenbar, weil er jene abſchnei- den und als unnuͤtze Fabel aus dem Gedaͤchtniß der Menſchen hinwegbringen wollte. Mich duͤnkt, er handelte hierinn weiſe: denn jenſeit der Grenzen unſrer ausgebildeten Erde, d. i. vor Entſtehung des Menſchengeſchlechts und ſeiner zuſammenhan- genden Geſchichte giebt es fuͤr uns keine Zeitrechnung, die dieſen Namen verdiene. Laſſet Buffon ſeinen ſechs erſten Epochen der Natur Zahlen geben, wie groß er ſie wolle, von 26000, von 35000, von 15‒20000, von 10,000 Jahren u. f.; der menſchliche Verſtand, der ſeine Schranken fuͤhlet, lacht uͤber dieſe Zahlen der Einbildungskraft, geſetzt, daß er auch die Entwicklung der Epochen ſelbſt wahr faͤnde; noch weniger aber wuͤnſcht das hiſtoriſche Gedaͤchtniß ſich mit ihnen zu beſchweren. Nun ſind die aͤlteſten ungeheuren Zeitrechnun- gen der Voͤlker offenbar von dieſer Buffonſchen Art: ſie lau- fen nemlich in Zeitalter, da die Goͤtter- und Weltkraͤfte re-
giert
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0340"n="328"/>ſo jung macht. Mich duͤnkt, man thue ihr hierinn offenbar<lb/>
Unrecht. Wenn Moſes wenigſtens der Sammler dieſer alten<lb/>
Traditionen war: ſo konnten ihm, dem gelehrten Aegyptier,<lb/>
jene Goͤtter- und Halbgoͤtter-Aeonen nicht unbekannt ſeyn,<lb/>
mit denen dieſes Volk, wie alle Nationen Aſiens die Geſchich-<lb/>
te der Welt anfiengen. Warum webte er ſie alſo ſeinen Nach-<lb/>
richten nicht ein? warum ruͤckte er ihnen gleichſam zum Trotz<lb/>
und zur Verachtung, die Weltentſtehung in das Symbol des<lb/>
kleinſten Zeitlaufs zuſammen? Offenbar, weil er jene abſchnei-<lb/>
den und als unnuͤtze Fabel aus dem Gedaͤchtniß der Menſchen<lb/>
hinwegbringen wollte. Mich duͤnkt, er handelte hierinn weiſe:<lb/>
denn jenſeit der Grenzen unſrer ausgebildeten Erde, d. i. vor<lb/>
Entſtehung des Menſchengeſchlechts und ſeiner zuſammenhan-<lb/>
genden Geſchichte giebt es fuͤr uns keine Zeitrechnung, die<lb/>
dieſen Namen verdiene. Laſſet Buffon ſeinen ſechs erſten<lb/>
Epochen der Natur Zahlen geben, wie groß er ſie wolle, von<lb/>
26000, von 35000, von 15‒20000, von 10,000 Jahren<lb/>
u. f.; der menſchliche Verſtand, der ſeine Schranken fuͤhlet,<lb/>
lacht uͤber dieſe Zahlen der Einbildungskraft, geſetzt, daß er<lb/>
auch die Entwicklung der Epochen ſelbſt wahr faͤnde; noch<lb/>
weniger aber wuͤnſcht das hiſtoriſche Gedaͤchtniß ſich mit ihnen<lb/>
zu beſchweren. Nun ſind die aͤlteſten ungeheuren Zeitrechnun-<lb/>
gen der Voͤlker offenbar von dieſer Buffonſchen Art: ſie lau-<lb/>
fen nemlich in Zeitalter, da die Goͤtter- und Weltkraͤfte re-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">giert</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[328/0340]
ſo jung macht. Mich duͤnkt, man thue ihr hierinn offenbar
Unrecht. Wenn Moſes wenigſtens der Sammler dieſer alten
Traditionen war: ſo konnten ihm, dem gelehrten Aegyptier,
jene Goͤtter- und Halbgoͤtter-Aeonen nicht unbekannt ſeyn,
mit denen dieſes Volk, wie alle Nationen Aſiens die Geſchich-
te der Welt anfiengen. Warum webte er ſie alſo ſeinen Nach-
richten nicht ein? warum ruͤckte er ihnen gleichſam zum Trotz
und zur Verachtung, die Weltentſtehung in das Symbol des
kleinſten Zeitlaufs zuſammen? Offenbar, weil er jene abſchnei-
den und als unnuͤtze Fabel aus dem Gedaͤchtniß der Menſchen
hinwegbringen wollte. Mich duͤnkt, er handelte hierinn weiſe:
denn jenſeit der Grenzen unſrer ausgebildeten Erde, d. i. vor
Entſtehung des Menſchengeſchlechts und ſeiner zuſammenhan-
genden Geſchichte giebt es fuͤr uns keine Zeitrechnung, die
dieſen Namen verdiene. Laſſet Buffon ſeinen ſechs erſten
Epochen der Natur Zahlen geben, wie groß er ſie wolle, von
26000, von 35000, von 15‒20000, von 10,000 Jahren
u. f.; der menſchliche Verſtand, der ſeine Schranken fuͤhlet,
lacht uͤber dieſe Zahlen der Einbildungskraft, geſetzt, daß er
auch die Entwicklung der Epochen ſelbſt wahr faͤnde; noch
weniger aber wuͤnſcht das hiſtoriſche Gedaͤchtniß ſich mit ihnen
zu beſchweren. Nun ſind die aͤlteſten ungeheuren Zeitrechnun-
gen der Voͤlker offenbar von dieſer Buffonſchen Art: ſie lau-
fen nemlich in Zeitalter, da die Goͤtter- und Weltkraͤfte re-
giert
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/340>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.