Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

sprechen oder auch seiner Bildung, seinem Charakter und Ver-
hältniß zu den andern Lebendigen der Erde bestehen möge.

Zuerst ists offenbar der Natur entgegen, daß sie alles Le-
bendige in gleicher Anzahl oder auf einmal belebt habe: der
Bau der Erde und die innere Beschaffenheit der Geschöpfe
selbst macht dies unmöglich. Elephanten und Würmer, Lö-
wen und Jnfusionsthiere sind nicht in gleicher Zahl da: sie
konnten auch uranfangs ihrem Wesen nach weder in gleichem
Verhältniß, noch auf Einmal erschaffen werden. Millionen
Muschelgeschöpfe mußten untergehen, ehe auf unserm Erden-
fels Gartenbeete zu feinerm Leben wurden: eine Welt von
Pflanzen geht jährlich unter, damit sie höheren Wesen das Le-
ben nähre. Wenn man also auch von den Endursachen der
Schöpfung ganz abstrahiret: so lag es schon im Stoff der Na-
tur selbst, daß sie aus Vielem ein Eins machen und durch das
kreisende Rad der Schöpfung Zahlloses zerstören mußte, damit
sie ein Minderes aber Edleres belebte. So fuhr sie von unten
hinauf und indem sie allenthalben gnug des Samens nachließ,
Geschlechter die sie dauren lassen wollte, zu erhalten, bahnte sie sich
den Weg, zu auserlesneren feinern, höheren Geschlechtern. Sollte
der Mensch die Krone der Schöpfung seyn: so konnte er mit dem
Fisch oder dem Meerschleim nicht Eine Masse, Einen Tag der
Geburt, Einen Ort und Aufenthalt haben. Sein Blut sollte kein

Wasser

ſprechen oder auch ſeiner Bildung, ſeinem Charakter und Ver-
haͤltniß zu den andern Lebendigen der Erde beſtehen moͤge.

Zuerſt iſts offenbar der Natur entgegen, daß ſie alles Le-
bendige in gleicher Anzahl oder auf einmal belebt habe: der
Bau der Erde und die innere Beſchaffenheit der Geſchoͤpfe
ſelbſt macht dies unmoͤglich. Elephanten und Wuͤrmer, Loͤ-
wen und Jnfuſionsthiere ſind nicht in gleicher Zahl da: ſie
konnten auch uranfangs ihrem Weſen nach weder in gleichem
Verhaͤltniß, noch auf Einmal erſchaffen werden. Millionen
Muſchelgeſchoͤpfe mußten untergehen, ehe auf unſerm Erden-
fels Gartenbeete zu feinerm Leben wurden: eine Welt von
Pflanzen geht jaͤhrlich unter, damit ſie hoͤheren Weſen das Le-
ben naͤhre. Wenn man alſo auch von den Endurſachen der
Schoͤpfung ganz abſtrahiret: ſo lag es ſchon im Stoff der Na-
tur ſelbſt, daß ſie aus Vielem ein Eins machen und durch das
kreiſende Rad der Schoͤpfung Zahlloſes zerſtoͤren mußte, damit
ſie ein Minderes aber Edleres belebte. So fuhr ſie von unten
hinauf und indem ſie allenthalben gnug des Samens nachließ,
Geſchlechter die ſie dauren laſſen wollte, zu erhalten, bahnte ſie ſich
den Weg, zu auserleſneren feinern, hoͤheren Geſchlechtern. Sollte
der Menſch die Krone der Schoͤpfung ſeyn: ſo konnte er mit dem
Fiſch oder dem Meerſchleim nicht Eine Maſſe, Einen Tag der
Geburt, Einen Ort und Aufenthalt haben. Sein Blut ſollte kein

Waſſer
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0298" n="286"/>
&#x017F;prechen oder auch &#x017F;einer Bildung, &#x017F;einem Charakter und Ver-<lb/>
ha&#x0364;ltniß zu den andern Lebendigen der Erde be&#x017F;tehen mo&#x0364;ge.</p><lb/>
          <p>Zuer&#x017F;t i&#x017F;ts offenbar der Natur entgegen, daß &#x017F;ie alles Le-<lb/>
bendige in gleicher Anzahl oder auf einmal belebt habe: der<lb/>
Bau der Erde und die innere Be&#x017F;chaffenheit der Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t macht dies unmo&#x0364;glich. Elephanten und Wu&#x0364;rmer, Lo&#x0364;-<lb/>
wen und Jnfu&#x017F;ionsthiere &#x017F;ind nicht in gleicher Zahl da: &#x017F;ie<lb/>
konnten auch uranfangs ihrem We&#x017F;en nach weder in gleichem<lb/>
Verha&#x0364;ltniß, noch auf Einmal er&#x017F;chaffen werden. Millionen<lb/>
Mu&#x017F;chelge&#x017F;cho&#x0364;pfe mußten untergehen, ehe auf un&#x017F;erm Erden-<lb/>
fels Gartenbeete zu feinerm Leben wurden: eine Welt von<lb/>
Pflanzen geht ja&#x0364;hrlich unter, damit &#x017F;ie ho&#x0364;heren We&#x017F;en das Le-<lb/>
ben na&#x0364;hre. Wenn man al&#x017F;o auch von den Endur&#x017F;achen der<lb/>
Scho&#x0364;pfung ganz ab&#x017F;trahiret: &#x017F;o lag es &#x017F;chon im Stoff der Na-<lb/>
tur &#x017F;elb&#x017F;t, daß &#x017F;ie aus Vielem ein Eins machen und durch das<lb/>
krei&#x017F;ende Rad der Scho&#x0364;pfung Zahllo&#x017F;es zer&#x017F;to&#x0364;ren mußte, damit<lb/>
&#x017F;ie ein Minderes aber Edleres belebte. So fuhr &#x017F;ie von unten<lb/>
hinauf und indem &#x017F;ie allenthalben gnug des Samens nachließ,<lb/>
Ge&#x017F;chlechter die &#x017F;ie dauren la&#x017F;&#x017F;en wollte, zu erhalten, bahnte &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
den Weg, zu auserle&#x017F;neren feinern, ho&#x0364;heren Ge&#x017F;chlechtern. Sollte<lb/>
der Men&#x017F;ch die Krone der Scho&#x0364;pfung &#x017F;eyn: &#x017F;o konnte er mit dem<lb/>
Fi&#x017F;ch oder dem Meer&#x017F;chleim nicht Eine Ma&#x017F;&#x017F;e, Einen Tag der<lb/>
Geburt, Einen Ort und Aufenthalt haben. Sein Blut &#x017F;ollte kein<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Wa&#x017F;&#x017F;er</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[286/0298] ſprechen oder auch ſeiner Bildung, ſeinem Charakter und Ver- haͤltniß zu den andern Lebendigen der Erde beſtehen moͤge. Zuerſt iſts offenbar der Natur entgegen, daß ſie alles Le- bendige in gleicher Anzahl oder auf einmal belebt habe: der Bau der Erde und die innere Beſchaffenheit der Geſchoͤpfe ſelbſt macht dies unmoͤglich. Elephanten und Wuͤrmer, Loͤ- wen und Jnfuſionsthiere ſind nicht in gleicher Zahl da: ſie konnten auch uranfangs ihrem Weſen nach weder in gleichem Verhaͤltniß, noch auf Einmal erſchaffen werden. Millionen Muſchelgeſchoͤpfe mußten untergehen, ehe auf unſerm Erden- fels Gartenbeete zu feinerm Leben wurden: eine Welt von Pflanzen geht jaͤhrlich unter, damit ſie hoͤheren Weſen das Le- ben naͤhre. Wenn man alſo auch von den Endurſachen der Schoͤpfung ganz abſtrahiret: ſo lag es ſchon im Stoff der Na- tur ſelbſt, daß ſie aus Vielem ein Eins machen und durch das kreiſende Rad der Schoͤpfung Zahlloſes zerſtoͤren mußte, damit ſie ein Minderes aber Edleres belebte. So fuhr ſie von unten hinauf und indem ſie allenthalben gnug des Samens nachließ, Geſchlechter die ſie dauren laſſen wollte, zu erhalten, bahnte ſie ſich den Weg, zu auserleſneren feinern, hoͤheren Geſchlechtern. Sollte der Menſch die Krone der Schoͤpfung ſeyn: ſo konnte er mit dem Fiſch oder dem Meerſchleim nicht Eine Maſſe, Einen Tag der Geburt, Einen Ort und Aufenthalt haben. Sein Blut ſollte kein Waſſer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/298
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/298>, abgerufen am 24.11.2024.