Seinetwegen erschaffen will, was das Geschöpf von Gottes- wegen nicht seyn sollte: sobald ist dieser dem Himmel gebie- tende Despotismus aller Unordnung und des unvermeidlichen Misgeschicks Vater. Da nun alle durch Tradition festgesetzte Stände der Menschen auf gewisse Weise der Natur entgegen arbeiten, die sich mit ihren Gaben an keinen Stand bindet: so ist kein Wunder, daß die meisten Völker, nachdem sie aller- lei Regierungsarten durchgangen waren und die Last jeder em- pfunden hatten, zuletzt verzweifelnd auf die zurückkamen, die sie ganz zu Maschinen machte, auf die despotisch-erbliche Re- gierung. Sie sprachen wie jener ebräische König, als ihm drei Uebel vorgelegt wurden: "Lasset uns lieber in die Hand des Herren fallen als in die Hand der Menschen" und gaben sich auf Gnade und Ungnade der Providenz in die Arme, er- wartend, wen diese ihnen zum Regenten zusenden würde? denn die Tyrannei der Aristokraten ist eine harte Tyrannei und das gebietende Volk ist ein wahrer Leviathan. Alle christli- chen Regenten nennen sich also von Gottes Gnaden und bekennen damit, daß sie nicht durch ihr Verdienst, das vor der Geburt auch gar nicht statt findet, sondern durch das Gutbe- finden der Vorsehung, die sie auf dieser Stelle gebohren wer- den ließ, zur Krone gelangten. Das Verdienst dazu müssen sie sich erst durch eigne Mühe erwerben, mit der sie gleichsam die Providenz zu rechtfertigen haben, daß sie sie ihres hohen
Amts
Seinetwegen erſchaffen will, was das Geſchoͤpf von Gottes- wegen nicht ſeyn ſollte: ſobald iſt dieſer dem Himmel gebie- tende Deſpotismus aller Unordnung und des unvermeidlichen Misgeſchicks Vater. Da nun alle durch Tradition feſtgeſetzte Staͤnde der Menſchen auf gewiſſe Weiſe der Natur entgegen arbeiten, die ſich mit ihren Gaben an keinen Stand bindet: ſo iſt kein Wunder, daß die meiſten Voͤlker, nachdem ſie aller- lei Regierungsarten durchgangen waren und die Laſt jeder em- pfunden hatten, zuletzt verzweifelnd auf die zuruͤckkamen, die ſie ganz zu Maſchinen machte, auf die deſpotiſch-erbliche Re- gierung. Sie ſprachen wie jener ebraͤiſche Koͤnig, als ihm drei Uebel vorgelegt wurden: „Laſſet uns lieber in die Hand des Herren fallen als in die Hand der Menſchen„ und gaben ſich auf Gnade und Ungnade der Providenz in die Arme, er- wartend, wen dieſe ihnen zum Regenten zuſenden wuͤrde? denn die Tyrannei der Ariſtokraten iſt eine harte Tyrannei und das gebietende Volk iſt ein wahrer Leviathan. Alle chriſtli- chen Regenten nennen ſich alſo von Gottes Gnaden und bekennen damit, daß ſie nicht durch ihr Verdienſt, das vor der Geburt auch gar nicht ſtatt findet, ſondern durch das Gutbe- finden der Vorſehung, die ſie auf dieſer Stelle gebohren wer- den ließ, zur Krone gelangten. Das Verdienſt dazu muͤſſen ſie ſich erſt durch eigne Muͤhe erwerben, mit der ſie gleichſam die Providenz zu rechtfertigen haben, daß ſie ſie ihres hohen
Amts
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Seinetwegen erſchaffen will, was das Geſchoͤpf von Gottes-
wegen nicht ſeyn ſollte: ſobald iſt dieſer dem Himmel gebie-
tende Deſpotismus aller Unordnung und des unvermeidlichen
Misgeſchicks Vater. Da nun alle durch Tradition feſtgeſetzte
Staͤnde der Menſchen auf gewiſſe Weiſe der Natur entgegen
arbeiten, die ſich mit ihren Gaben an keinen Stand bindet:
ſo iſt kein Wunder, daß die meiſten Voͤlker, nachdem ſie aller-
lei Regierungsarten durchgangen waren und die Laſt jeder em-
pfunden hatten, zuletzt verzweifelnd auf die zuruͤckkamen, die
ſie ganz zu Maſchinen machte, auf die deſpotiſch-erbliche Re-
gierung. Sie ſprachen wie jener ebraͤiſche Koͤnig, als ihm
drei Uebel vorgelegt wurden: „Laſſet uns lieber in die Hand
des Herren fallen als in die Hand der Menſchen„ und gaben
ſich auf Gnade und Ungnade der Providenz in die Arme, er-
wartend, wen dieſe ihnen zum Regenten zuſenden wuͤrde?
denn die Tyrannei der Ariſtokraten iſt eine harte Tyrannei und
das gebietende Volk iſt ein wahrer Leviathan. Alle chriſtli-
chen Regenten nennen ſich alſo von Gottes Gnaden und
bekennen damit, daß ſie nicht durch ihr Verdienſt, das vor der
Geburt auch gar nicht ſtatt findet, ſondern durch das Gutbe-
finden der Vorſehung, die ſie auf dieſer Stelle gebohren wer-
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/275>, abgerufen am 24.11.2024.
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