Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite


durch Vergessenheit und Gewohnheit zu lindern. So lange
sich die Völker wachsam und in reger Kraft erhalten oder wo
die Natur sie mit dem harten Brod der Arbeit speiset, da fin-
den keine weiche Sultane statt; das rauhe Land, die harte
Lebensweise sind ihnen der Freiheit Vestung. Wo gegentheils
die Völker in ihrem weicheren Schoos entschliefen und das
Netz duldeten, das man über sie zog; siehe da kommt die trö-
stende Mutter dem Unterdrückten wenigstens durch ihre mil-
deren Gaben zu Hülfe: denn der Despotismus setzt immer eine
Art Schwäche, folglich mehrere Bequemlichkeit voraus, die
entweder aus Gaben der Natur oder der Kunst entstanden.
Jn den meisten despotisch-regierten Ländern nährt und kleidet
die Natur den Menschen fast ohne Mühe, daß er sich also mit
dem vorüberrasenden Orkan gleichsam nur abfinden darf und
nachher, zwar Gedankenlos und ohne Würde, dennoch aber nicht
ganz ohne Genuß den Athem ihrer Erquickung trinket. Ue-
berhaupt ist das Loos der Menschen und seine Bestimmung
zur irrdischen Glückseligkeit weder ans Herrschen, noch
ans Dienen geknüpfet. Der Arme kann glücklich, der Sklave
in Ketten kann frei seyn: der Despot und sein Werkzeug sind
meistens und oft in ganzen Geschlechtern die unglücklichsten
und unwürdigsten Sklaven.

Da alle Sätze, die ich bisher berührt habe, aus der Ge-
schichte selbst ihre eigentliche Erläuterung nehmen müssen: so

bleibt
K k 2


durch Vergeſſenheit und Gewohnheit zu lindern. So lange
ſich die Voͤlker wachſam und in reger Kraft erhalten oder wo
die Natur ſie mit dem harten Brod der Arbeit ſpeiſet, da fin-
den keine weiche Sultane ſtatt; das rauhe Land, die harte
Lebensweiſe ſind ihnen der Freiheit Veſtung. Wo gegentheils
die Voͤlker in ihrem weicheren Schoos entſchliefen und das
Netz duldeten, das man uͤber ſie zog; ſiehe da kommt die troͤ-
ſtende Mutter dem Unterdruͤckten wenigſtens durch ihre mil-
deren Gaben zu Huͤlfe: denn der Deſpotismus ſetzt immer eine
Art Schwaͤche, folglich mehrere Bequemlichkeit voraus, die
entweder aus Gaben der Natur oder der Kunſt entſtanden.
Jn den meiſten deſpotiſch-regierten Laͤndern naͤhrt und kleidet
die Natur den Menſchen faſt ohne Muͤhe, daß er ſich alſo mit
dem voruͤberraſenden Orkan gleichſam nur abfinden darf und
nachher, zwar Gedankenlos und ohne Wuͤrde, dennoch aber nicht
ganz ohne Genuß den Athem ihrer Erquickung trinket. Ue-
berhaupt iſt das Loos der Menſchen und ſeine Beſtimmung
zur irrdiſchen Gluͤckſeligkeit weder ans Herrſchen, noch
ans Dienen geknuͤpfet. Der Arme kann gluͤcklich, der Sklave
in Ketten kann frei ſeyn: der Deſpot und ſein Werkzeug ſind
meiſtens und oft in ganzen Geſchlechtern die ungluͤcklichſten
und unwuͤrdigſten Sklaven.

Da alle Saͤtze, die ich bisher beruͤhrt habe, aus der Ge-
ſchichte ſelbſt ihre eigentliche Erlaͤuterung nehmen muͤſſen: ſo

bleibt
K k 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0271" n="259"/><lb/>
durch Verge&#x017F;&#x017F;enheit und Gewohnheit zu lindern. So lange<lb/>
&#x017F;ich die Vo&#x0364;lker wach&#x017F;am und in reger Kraft erhalten oder wo<lb/>
die Natur &#x017F;ie mit dem harten Brod der Arbeit &#x017F;pei&#x017F;et, da fin-<lb/>
den keine weiche Sultane &#x017F;tatt; das rauhe Land, die harte<lb/>
Lebenswei&#x017F;e &#x017F;ind ihnen der Freiheit Ve&#x017F;tung. Wo gegentheils<lb/>
die Vo&#x0364;lker in ihrem weicheren Schoos ent&#x017F;chliefen und das<lb/>
Netz duldeten, das man u&#x0364;ber &#x017F;ie zog; &#x017F;iehe da kommt die tro&#x0364;-<lb/>
&#x017F;tende Mutter dem Unterdru&#x0364;ckten wenig&#x017F;tens durch ihre mil-<lb/>
deren Gaben zu Hu&#x0364;lfe: denn der De&#x017F;potismus &#x017F;etzt immer eine<lb/>
Art Schwa&#x0364;che, folglich mehrere Bequemlichkeit voraus, die<lb/>
entweder aus Gaben der Natur oder der Kun&#x017F;t ent&#x017F;tanden.<lb/>
Jn den mei&#x017F;ten de&#x017F;poti&#x017F;ch-regierten La&#x0364;ndern na&#x0364;hrt und kleidet<lb/>
die Natur den Men&#x017F;chen fa&#x017F;t ohne Mu&#x0364;he, daß er &#x017F;ich al&#x017F;o mit<lb/>
dem voru&#x0364;berra&#x017F;enden Orkan gleich&#x017F;am nur abfinden darf und<lb/>
nachher, zwar Gedankenlos und ohne Wu&#x0364;rde, dennoch aber nicht<lb/>
ganz ohne Genuß den Athem ihrer Erquickung trinket. Ue-<lb/>
berhaupt i&#x017F;t das Loos der Men&#x017F;chen und &#x017F;eine Be&#x017F;timmung<lb/>
zur irrdi&#x017F;chen Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit weder ans Herr&#x017F;chen, noch<lb/>
ans Dienen geknu&#x0364;pfet. Der Arme kann glu&#x0364;cklich, der Sklave<lb/>
in Ketten kann frei &#x017F;eyn: der De&#x017F;pot und &#x017F;ein Werkzeug &#x017F;ind<lb/>
mei&#x017F;tens und oft in ganzen Ge&#x017F;chlechtern die unglu&#x0364;cklich&#x017F;ten<lb/>
und unwu&#x0364;rdig&#x017F;ten Sklaven.</p><lb/>
          <p>Da alle Sa&#x0364;tze, die ich bisher beru&#x0364;hrt habe, aus der Ge-<lb/>
&#x017F;chichte &#x017F;elb&#x017F;t ihre eigentliche Erla&#x0364;uterung nehmen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en: &#x017F;o<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">K k 2</fw><fw place="bottom" type="catch">bleibt</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[259/0271] durch Vergeſſenheit und Gewohnheit zu lindern. So lange ſich die Voͤlker wachſam und in reger Kraft erhalten oder wo die Natur ſie mit dem harten Brod der Arbeit ſpeiſet, da fin- den keine weiche Sultane ſtatt; das rauhe Land, die harte Lebensweiſe ſind ihnen der Freiheit Veſtung. Wo gegentheils die Voͤlker in ihrem weicheren Schoos entſchliefen und das Netz duldeten, das man uͤber ſie zog; ſiehe da kommt die troͤ- ſtende Mutter dem Unterdruͤckten wenigſtens durch ihre mil- deren Gaben zu Huͤlfe: denn der Deſpotismus ſetzt immer eine Art Schwaͤche, folglich mehrere Bequemlichkeit voraus, die entweder aus Gaben der Natur oder der Kunſt entſtanden. Jn den meiſten deſpotiſch-regierten Laͤndern naͤhrt und kleidet die Natur den Menſchen faſt ohne Muͤhe, daß er ſich alſo mit dem voruͤberraſenden Orkan gleichſam nur abfinden darf und nachher, zwar Gedankenlos und ohne Wuͤrde, dennoch aber nicht ganz ohne Genuß den Athem ihrer Erquickung trinket. Ue- berhaupt iſt das Loos der Menſchen und ſeine Beſtimmung zur irrdiſchen Gluͤckſeligkeit weder ans Herrſchen, noch ans Dienen geknuͤpfet. Der Arme kann gluͤcklich, der Sklave in Ketten kann frei ſeyn: der Deſpot und ſein Werkzeug ſind meiſtens und oft in ganzen Geſchlechtern die ungluͤcklichſten und unwuͤrdigſten Sklaven. Da alle Saͤtze, die ich bisher beruͤhrt habe, aus der Ge- ſchichte ſelbſt ihre eigentliche Erlaͤuterung nehmen muͤſſen: ſo bleibt K k 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/271
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/271>, abgerufen am 21.05.2024.