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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

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indessen doch nicht unabhängig von äußern Leidenschaften ist,
so muß sie sich ihnen auch mit der Zeit bequemen.

Statt eines weitern Zwists im Allgemeinen wünschte ich
also lieber eine belehrende Untersuchung im Einzelnen, zu der
uns das Feld der Geographie und Geschichte eine große Erndte
darbeut. Wir wissen z. E. wenn diese Portugiesische Colo-
nien nach Afrika, jene Spanischen, Holländischen, Englischen,
Deutschen nach Ostindien und Amerika gewandert sind, was
an einigen derselben die Lebensart der Eingebohrnen, an an-
dern die fortgesetzte Lebensweise der Europäer für Wirkung
gehabt u. f. Hätte man dieses alles genau untersucht: so
stiege man zu ältern Uebergängen z. B. der Malayen auf den
Jnseln, der Araber in Afrika und Ostindien, der Türken in
ihren eroberten Ländern, sodann zu den Mogolen, Tatarn und
endlich zu dem Schwarm von Nationen, die in der großen
Völkerwanderung Europa überdeckten. Nirgend vergäße
man, aus welchem Klima ein Volk kam, welche Lebensart es
mitbrachte, welches Land es vor sich fand, mit welchen Völkern
es sich vermischte, welche Revolutionen es in seinem neuen
Sitz durchlebt hat. Würde dieser untersuchende Calcul durch
die gewissern Jahrhunderte fortgesetzt: so ließen sich vielleicht
auch Schlüße auf jene ältern Völkerzüge machen, die wir nur
aus Sagen alter Schriftsteller oder aus Uebereinstimmungen

der

indeſſen doch nicht unabhaͤngig von aͤußern Leidenſchaften iſt,
ſo muß ſie ſich ihnen auch mit der Zeit bequemen.

Statt eines weitern Zwiſts im Allgemeinen wuͤnſchte ich
alſo lieber eine belehrende Unterſuchung im Einzelnen, zu der
uns das Feld der Geographie und Geſchichte eine große Erndte
darbeut. Wir wiſſen z. E. wenn dieſe Portugieſiſche Colo-
nien nach Afrika, jene Spaniſchen, Hollaͤndiſchen, Engliſchen,
Deutſchen nach Oſtindien und Amerika gewandert ſind, was
an einigen derſelben die Lebensart der Eingebohrnen, an an-
dern die fortgeſetzte Lebensweiſe der Europaͤer fuͤr Wirkung
gehabt u. f. Haͤtte man dieſes alles genau unterſucht: ſo
ſtiege man zu aͤltern Uebergaͤngen z. B. der Malayen auf den
Jnſeln, der Araber in Afrika und Oſtindien, der Tuͤrken in
ihren eroberten Laͤndern, ſodann zu den Mogolen, Tatarn und
endlich zu dem Schwarm von Nationen, die in der großen
Voͤlkerwanderung Europa uͤberdeckten. Nirgend vergaͤße
man, aus welchem Klima ein Volk kam, welche Lebensart es
mitbrachte, welches Land es vor ſich fand, mit welchen Voͤlkern
es ſich vermiſchte, welche Revolutionen es in ſeinem neuen
Sitz durchlebt hat. Wuͤrde dieſer unterſuchende Calcul durch
die gewiſſern Jahrhunderte fortgeſetzt: ſo ließen ſich vielleicht
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aus Sagen alter Schriftſteller oder aus Uebereinſtimmungen

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[120/0132] indeſſen doch nicht unabhaͤngig von aͤußern Leidenſchaften iſt, ſo muß ſie ſich ihnen auch mit der Zeit bequemen. Statt eines weitern Zwiſts im Allgemeinen wuͤnſchte ich alſo lieber eine belehrende Unterſuchung im Einzelnen, zu der uns das Feld der Geographie und Geſchichte eine große Erndte darbeut. Wir wiſſen z. E. wenn dieſe Portugieſiſche Colo- nien nach Afrika, jene Spaniſchen, Hollaͤndiſchen, Engliſchen, Deutſchen nach Oſtindien und Amerika gewandert ſind, was an einigen derſelben die Lebensart der Eingebohrnen, an an- dern die fortgeſetzte Lebensweiſe der Europaͤer fuͤr Wirkung gehabt u. f. Haͤtte man dieſes alles genau unterſucht: ſo ſtiege man zu aͤltern Uebergaͤngen z. B. der Malayen auf den Jnſeln, der Araber in Afrika und Oſtindien, der Tuͤrken in ihren eroberten Laͤndern, ſodann zu den Mogolen, Tatarn und endlich zu dem Schwarm von Nationen, die in der großen Voͤlkerwanderung Europa uͤberdeckten. Nirgend vergaͤße man, aus welchem Klima ein Volk kam, welche Lebensart es mitbrachte, welches Land es vor ſich fand, mit welchen Voͤlkern es ſich vermiſchte, welche Revolutionen es in ſeinem neuen Sitz durchlebt hat. Wuͤrde dieſer unterſuchende Calcul durch die gewiſſern Jahrhunderte fortgeſetzt: ſo ließen ſich vielleicht auch Schluͤße auf jene aͤltern Voͤlkerzuͤge machen, die wir nur aus Sagen alter Schriftſteller oder aus Uebereinſtimmungen der

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/132>, abgerufen am 24.11.2024.