der Mythologie und Sprache kennen: denn im Grunde sind alle oder doch die meisten Nationen der Erde früher oder spä- ter gewandert. Und so bekämen wir, mit einigen Charten zur Anschauung, eine physisch-geographische Geschichte der Abstammung und Verartung unsres Geschlechts nach Klimaten und Zeiten, die Schritt vor Schritt die wich- tigsten Resultate gewähren müßte.
Ohne dem forschenden Geist, der diese Arbeit unternäh- me, vorzugreifen, setze ich aus der neuern Geschichte einige wenige Erfahrungen her: kleine Exempel meiner vorherge- henden Untersuchung.
1. Alle zu schnelle, zu rasche Uebergänge in ein entgegengesetztes Hemisphär und Klima sind selten ei- ner Nation heilsam worden: denn die Natur hat nicht vergebens ihre Grenzen zwischen weitentfernten Ländern ge- zogen. Die Geschichte der Eroberungen sowohl als der Han- delsgesellschaften, am meisten aber der Mißionen müßte ein trauriges und zum Theil lächerliches Gemählde geben, wenn man diesen Gegenstand mit seinen Folgen auch nur aus eig- nen Relationen der Uebergegangenen unpartheiisch hervor- holte. Mit grausendem Abscheu lieset man die Nachrichten von manchen Europäischen Nationen, wie sie, versunken in die frechste Ueppigkeit und den fühllosesten Stolz an Leib und Seele entarten und selbst zum Genuß und Erbarmen keine
Kräfte
Jdeen,II.Th. Q
der Mythologie und Sprache kennen: denn im Grunde ſind alle oder doch die meiſten Nationen der Erde fruͤher oder ſpaͤ- ter gewandert. Und ſo bekaͤmen wir, mit einigen Charten zur Anſchauung, eine phyſiſch-geographiſche Geſchichte der Abſtammung und Verartung unſres Geſchlechts nach Klimaten und Zeiten, die Schritt vor Schritt die wich- tigſten Reſultate gewaͤhren muͤßte.
Ohne dem forſchenden Geiſt, der dieſe Arbeit unternaͤh- me, vorzugreifen, ſetze ich aus der neuern Geſchichte einige wenige Erfahrungen her: kleine Exempel meiner vorherge- henden Unterſuchung.
1. Alle zu ſchnelle, zu raſche Uebergaͤnge in ein entgegengeſetztes Hemiſphaͤr und Klima ſind ſelten ei- ner Nation heilſam worden: denn die Natur hat nicht vergebens ihre Grenzen zwiſchen weitentfernten Laͤndern ge- zogen. Die Geſchichte der Eroberungen ſowohl als der Han- delsgeſellſchaften, am meiſten aber der Mißionen muͤßte ein trauriges und zum Theil laͤcherliches Gemaͤhlde geben, wenn man dieſen Gegenſtand mit ſeinen Folgen auch nur aus eig- nen Relationen der Uebergegangenen unpartheiiſch hervor- holte. Mit grauſendem Abſcheu lieſet man die Nachrichten von manchen Europaͤiſchen Nationen, wie ſie, verſunken in die frechſte Ueppigkeit und den fuͤhlloſeſten Stolz an Leib und Seele entarten und ſelbſt zum Genuß und Erbarmen keine
Kraͤfte
Jdeen,II.Th. Q
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der Mythologie und Sprache kennen: denn im Grunde ſind
alle oder doch die meiſten Nationen der Erde fruͤher oder ſpaͤ-
ter gewandert. Und ſo bekaͤmen wir, mit einigen Charten
zur Anſchauung, eine phyſiſch-geographiſche Geſchichte
der Abſtammung und Verartung unſres Geſchlechts
nach Klimaten und Zeiten, die Schritt vor Schritt die wich-
tigſten Reſultate gewaͤhren muͤßte.
Ohne dem forſchenden Geiſt, der dieſe Arbeit unternaͤh-
me, vorzugreifen, ſetze ich aus der neuern Geſchichte einige
wenige Erfahrungen her: kleine Exempel meiner vorherge-
henden Unterſuchung.
1. Alle zu ſchnelle, zu raſche Uebergaͤnge in ein
entgegengeſetztes Hemiſphaͤr und Klima ſind ſelten ei-
ner Nation heilſam worden: denn die Natur hat nicht
vergebens ihre Grenzen zwiſchen weitentfernten Laͤndern ge-
zogen. Die Geſchichte der Eroberungen ſowohl als der Han-
delsgeſellſchaften, am meiſten aber der Mißionen muͤßte ein
trauriges und zum Theil laͤcherliches Gemaͤhlde geben, wenn
man dieſen Gegenſtand mit ſeinen Folgen auch nur aus eig-
nen Relationen der Uebergegangenen unpartheiiſch hervor-
holte. Mit grauſendem Abſcheu lieſet man die Nachrichten
von manchen Europaͤiſchen Nationen, wie ſie, verſunken in
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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/133>, abgerufen am 02.05.2024.
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