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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

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schwinden in wenigen Geschlechtern alle Mogolischen, Sine-
sischen, Amerikanischen Züge.



Gefällt es meinen Lesern, auf diesem Wege fortzugehen:
so lasset uns ihn noch einige Schritte verfolgen.

1. Jedem Bemerkenden muß es aufgefallen seyn, daß
in den unzählbar-verschiednen Gestalten der Menschen
gewisse Formen und Verhältnisse nicht nur wieder
kommen, sondern auch ausschließend zu einander gehö-
ren.
Bei Künstlern ist dies eine ausgemachte Sache und
in den Statuen der Alten siehet man, daß sie diese Propor-
tion oder Symmetrie, wie sie es nannten, nicht etwa nur in
die Länge und Breite der Glieder, sondern auch in die har-
monische Bildung derselben zur Seele des Ganzen setzten.
Die Charaktere ihrer Götter und Göttinnen, ihrer Jünglin-
ge und Helden waren in ihrer ganzen Haltung so bestimmt,
daß man sie zum Theil schon aus einzelnen Gliedern kennet
und sich keinem Gebilde ein Arm, eine Brust, eine Schulter
geben läßt, die für ein andres gehöret. Der Genius eines
einzeln-lebendigen Wesens lebt in jeder dieser Gestalten, die
er wie eine Hülle nur durchhaucht und sich im kleinsten Maas
der Stellung und Bewegung, ähnlich dem Ganzen, cha-

rakteri-
Jdeen, II. Th. P

ſchwinden in wenigen Geſchlechtern alle Mogoliſchen, Sine-
ſiſchen, Amerikaniſchen Zuͤge.



Gefaͤllt es meinen Leſern, auf dieſem Wege fortzugehen:
ſo laſſet uns ihn noch einige Schritte verfolgen.

1. Jedem Bemerkenden muß es aufgefallen ſeyn, daß
in den unzaͤhlbar-verſchiednen Geſtalten der Menſchen
gewiſſe Formen und Verhaͤltniſſe nicht nur wieder
kommen, ſondern auch ausſchließend zu einander gehoͤ-
ren.
Bei Kuͤnſtlern iſt dies eine ausgemachte Sache und
in den Statuen der Alten ſiehet man, daß ſie dieſe Propor-
tion oder Symmetrie, wie ſie es nannten, nicht etwa nur in
die Laͤnge und Breite der Glieder, ſondern auch in die har-
moniſche Bildung derſelben zur Seele des Ganzen ſetzten.
Die Charaktere ihrer Goͤtter und Goͤttinnen, ihrer Juͤnglin-
ge und Helden waren in ihrer ganzen Haltung ſo beſtimmt,
daß man ſie zum Theil ſchon aus einzelnen Gliedern kennet
und ſich keinem Gebilde ein Arm, eine Bruſt, eine Schulter
geben laͤßt, die fuͤr ein andres gehoͤret. Der Genius eines
einzeln-lebendigen Weſens lebt in jeder dieſer Geſtalten, die
er wie eine Huͤlle nur durchhaucht und ſich im kleinſten Maas
der Stellung und Bewegung, aͤhnlich dem Ganzen, cha-

rakteri-
Jdeen, II. Th. P
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[113/0125] ſchwinden in wenigen Geſchlechtern alle Mogoliſchen, Sine- ſiſchen, Amerikaniſchen Zuͤge. Gefaͤllt es meinen Leſern, auf dieſem Wege fortzugehen: ſo laſſet uns ihn noch einige Schritte verfolgen. 1. Jedem Bemerkenden muß es aufgefallen ſeyn, daß in den unzaͤhlbar-verſchiednen Geſtalten der Menſchen gewiſſe Formen und Verhaͤltniſſe nicht nur wieder kommen, ſondern auch ausſchließend zu einander gehoͤ- ren. Bei Kuͤnſtlern iſt dies eine ausgemachte Sache und in den Statuen der Alten ſiehet man, daß ſie dieſe Propor- tion oder Symmetrie, wie ſie es nannten, nicht etwa nur in die Laͤnge und Breite der Glieder, ſondern auch in die har- moniſche Bildung derſelben zur Seele des Ganzen ſetzten. Die Charaktere ihrer Goͤtter und Goͤttinnen, ihrer Juͤnglin- ge und Helden waren in ihrer ganzen Haltung ſo beſtimmt, daß man ſie zum Theil ſchon aus einzelnen Gliedern kennet und ſich keinem Gebilde ein Arm, eine Bruſt, eine Schulter geben laͤßt, die fuͤr ein andres gehoͤret. Der Genius eines einzeln-lebendigen Weſens lebt in jeder dieſer Geſtalten, die er wie eine Huͤlle nur durchhaucht und ſich im kleinſten Maas der Stellung und Bewegung, aͤhnlich dem Ganzen, cha- rakteri- Jdeen, II. Th. P

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/125>, abgerufen am 24.11.2024.