Bei Afrika ists offenbar, daß die Sitten seiner Einwohner weniger verschieden sind, weil diese durch keine Meere und Meerbusen, sondern vielleicht nur durch die Wüsten von einander getrennt werden. Auch fremde Nationen haben daher weni- ger auf dasselbe wirken können und uns, die wir alles durch- krochen haben, ist dieser ungeheure Erdtheil so gut als unbe- kannt; blos und allein, weil er keine tiefe Einschnitte des Meers hat und sich wie ein unzugangbares Goldland mit Einer stumpfen Strecke ausbreitet. Amerika ist vielleicht auch deswegen voll so viel kleiner Nationen, weil es nord- und südlich mit Flüssen, Seen und Bergen durchschnitten und zerhackt ist. Seiner Lage nach ists von außen das zu- gangbarste Land, da es aus zwei Halbinseln bestehet, die nur durch einen engen Jsthmus zusammenhangen, an dem die tiefe Einbucht noch einen Archipelagus von Jnseln bildet. Es ist also gleichsam ganz Ufer; und daher auch der Besitz fast aller Europäischen Seemächte, so wie im Kriege immer der Apfel des Spiels. Günstig ist diese Lage für uns Euro- päische Räuber; ungünstig war seine innere Durchschnitten- heit für die Bildung der alten Einwohner. Sie lebten von einander durch Seen und Ströme, durch plötzlich abbrechende Höhen und Tiefen zu sehr gesondert, als daß die Cultur Eines Erdstrichs oder das alte Wort der Tradition ihrer Väter sich, wie in dem breiten Asien, hätte bevestigen und ausbreiten mögen.
War-
F 3
Bei Afrika iſts offenbar, daß die Sitten ſeiner Einwohner weniger verſchieden ſind, weil dieſe durch keine Meere und Meerbuſen, ſondern vielleicht nur durch die Wuͤſten von einander getrennt werden. Auch fremde Nationen haben daher weni- ger auf daſſelbe wirken koͤnnen und uns, die wir alles durch- krochen haben, iſt dieſer ungeheure Erdtheil ſo gut als unbe- kannt; blos und allein, weil er keine tiefe Einſchnitte des Meers hat und ſich wie ein unzugangbares Goldland mit Einer ſtumpfen Strecke ausbreitet. Amerika iſt vielleicht auch deswegen voll ſo viel kleiner Nationen, weil es nord- und ſuͤdlich mit Fluͤſſen, Seen und Bergen durchſchnitten und zerhackt iſt. Seiner Lage nach iſts von außen das zu- gangbarſte Land, da es aus zwei Halbinſeln beſtehet, die nur durch einen engen Jſthmus zuſammenhangen, an dem die tiefe Einbucht noch einen Archipelagus von Jnſeln bildet. Es iſt alſo gleichſam ganz Ufer; und daher auch der Beſitz faſt aller Europaͤiſchen Seemaͤchte, ſo wie im Kriege immer der Apfel des Spiels. Guͤnſtig iſt dieſe Lage fuͤr uns Euro- paͤiſche Raͤuber; unguͤnſtig war ſeine innere Durchſchnitten- heit fuͤr die Bildung der alten Einwohner. Sie lebten von einander durch Seen und Stroͤme, durch ploͤtzlich abbrechende Hoͤhen und Tiefen zu ſehr geſondert, als daß die Cultur Eines Erdſtrichs oder das alte Wort der Tradition ihrer Vaͤter ſich, wie in dem breiten Aſien, haͤtte beveſtigen und ausbreiten moͤgen.
War-
F 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0067"n="45"/>
Bei Afrika iſts offenbar, daß die Sitten ſeiner Einwohner<lb/>
weniger verſchieden ſind, weil dieſe durch keine Meere und<lb/>
Meerbuſen, ſondern vielleicht nur durch die Wuͤſten von einander<lb/>
getrennt werden. Auch fremde Nationen haben daher weni-<lb/>
ger auf daſſelbe wirken koͤnnen und uns, die wir alles durch-<lb/>
krochen haben, iſt dieſer ungeheure Erdtheil ſo gut als unbe-<lb/>
kannt; blos und allein, weil er keine tiefe Einſchnitte des<lb/>
Meers hat und ſich wie ein unzugangbares Goldland mit<lb/>
Einer ſtumpfen Strecke ausbreitet. Amerika iſt vielleicht<lb/>
auch deswegen voll ſo viel kleiner Nationen, weil es nord-<lb/>
und ſuͤdlich mit Fluͤſſen, Seen und Bergen durchſchnitten<lb/>
und zerhackt iſt. Seiner Lage nach iſts von außen das zu-<lb/>
gangbarſte Land, da es aus zwei Halbinſeln beſtehet, die<lb/>
nur durch einen engen Jſthmus zuſammenhangen, an dem<lb/>
die tiefe Einbucht noch einen Archipelagus von Jnſeln bildet.<lb/>
Es iſt alſo gleichſam ganz Ufer; und daher auch der Beſitz<lb/>
faſt aller Europaͤiſchen Seemaͤchte, ſo wie im Kriege immer<lb/>
der Apfel des Spiels. Guͤnſtig iſt dieſe Lage fuͤr uns Euro-<lb/>
paͤiſche Raͤuber; unguͤnſtig war ſeine innere Durchſchnitten-<lb/>
heit fuͤr die Bildung der alten Einwohner. Sie lebten von<lb/>
einander durch Seen und Stroͤme, durch ploͤtzlich abbrechende<lb/>
Hoͤhen und Tiefen zu ſehr geſondert, als daß die Cultur Eines<lb/>
Erdſtrichs oder <hirendition="#fr">das alte Wort</hi> der Tradition ihrer Vaͤter ſich,<lb/>
wie in dem breiten Aſien, haͤtte beveſtigen und ausbreiten moͤgen.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">F 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">War-</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[45/0067]
Bei Afrika iſts offenbar, daß die Sitten ſeiner Einwohner
weniger verſchieden ſind, weil dieſe durch keine Meere und
Meerbuſen, ſondern vielleicht nur durch die Wuͤſten von einander
getrennt werden. Auch fremde Nationen haben daher weni-
ger auf daſſelbe wirken koͤnnen und uns, die wir alles durch-
krochen haben, iſt dieſer ungeheure Erdtheil ſo gut als unbe-
kannt; blos und allein, weil er keine tiefe Einſchnitte des
Meers hat und ſich wie ein unzugangbares Goldland mit
Einer ſtumpfen Strecke ausbreitet. Amerika iſt vielleicht
auch deswegen voll ſo viel kleiner Nationen, weil es nord-
und ſuͤdlich mit Fluͤſſen, Seen und Bergen durchſchnitten
und zerhackt iſt. Seiner Lage nach iſts von außen das zu-
gangbarſte Land, da es aus zwei Halbinſeln beſtehet, die
nur durch einen engen Jſthmus zuſammenhangen, an dem
die tiefe Einbucht noch einen Archipelagus von Jnſeln bildet.
Es iſt alſo gleichſam ganz Ufer; und daher auch der Beſitz
faſt aller Europaͤiſchen Seemaͤchte, ſo wie im Kriege immer
der Apfel des Spiels. Guͤnſtig iſt dieſe Lage fuͤr uns Euro-
paͤiſche Raͤuber; unguͤnſtig war ſeine innere Durchſchnitten-
heit fuͤr die Bildung der alten Einwohner. Sie lebten von
einander durch Seen und Stroͤme, durch ploͤtzlich abbrechende
Hoͤhen und Tiefen zu ſehr geſondert, als daß die Cultur Eines
Erdſtrichs oder das alte Wort der Tradition ihrer Vaͤter ſich,
wie in dem breiten Aſien, haͤtte beveſtigen und ausbreiten moͤgen.
War-
F 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/67>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.