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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

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Welchen großen und reichen Anblick gibt diese Aussicht
über die Geschichte der uns ähnlichen und unähnlichen We-
sen! Sie scheidet die Reiche der Natur und die Classen der
Geschöpfe nach ihren Elementen und verbindet sie mit ein-
ander; auch in dem entfernsten wird der weitgezogne Ra-
dius aus Einem und demselben Mittelpunkt sichtbar. Aus
Luft und Wasser, aus Höhen und Tiefen sehe ich gleichsam
die Thiere zum Menschen kommen, wie sie dort zum Urvater
unsers Geschlechts kamen und Schritt vor Schritt sich seiner
Gestalt nähern. Der Vogel fliegt in der Luft: jede Abwei-
chung seiner Form vom Bau der Landthiere läßt sich aus
seinem Element erklären; sobald er auch nur in einer häßli-
chen Mittelgattung die Erde berührt, wird er (wie in den
Fledermäusen und Vampyrs) dem Gerippe des Menschen
ähnlich. Der Fisch schwimmt im Wasser; noch sind seine
Füße und Hände in Floßfedern und einen Schwanz ver-
wachsen: er hat noch wenig Artikulation der Glieder. So-
bald er die Erde berührt, wickelt er wie der Manati, wenig-
stens die Vorderfüße los und das Weib bekommt Brüste.
Der Seebär und Seelöwe hat seine vier Füße schon kännt-
lich, ob er gleich die hintersten noch nicht gebrauchen kann
und die fünf Zehen derselben noch als Lappen von Floßfe-
dern nach sich ziehet; er kriecht indeß, wie er kann, leise
heran, um sich am Stral der Sonne zu wärmen und ist

schon
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Welchen großen und reichen Anblick gibt dieſe Ausſicht
uͤber die Geſchichte der uns aͤhnlichen und unaͤhnlichen We-
ſen! Sie ſcheidet die Reiche der Natur und die Claſſen der
Geſchoͤpfe nach ihren Elementen und verbindet ſie mit ein-
ander; auch in dem entfernſten wird der weitgezogne Ra-
dius aus Einem und demſelben Mittelpunkt ſichtbar. Aus
Luft und Waſſer, aus Hoͤhen und Tiefen ſehe ich gleichſam
die Thiere zum Menſchen kommen, wie ſie dort zum Urvater
unſers Geſchlechts kamen und Schritt vor Schritt ſich ſeiner
Geſtalt naͤhern. Der Vogel fliegt in der Luft: jede Abwei-
chung ſeiner Form vom Bau der Landthiere laͤßt ſich aus
ſeinem Element erklaͤren; ſobald er auch nur in einer haͤßli-
chen Mittelgattung die Erde beruͤhrt, wird er (wie in den
Fledermaͤuſen und Vampyrs) dem Gerippe des Menſchen
aͤhnlich. Der Fiſch ſchwimmt im Waſſer; noch ſind ſeine
Fuͤße und Haͤnde in Floßfedern und einen Schwanz ver-
wachſen: er hat noch wenig Artikulation der Glieder. So-
bald er die Erde beruͤhrt, wickelt er wie der Manati, wenig-
ſtens die Vorderfuͤße los und das Weib bekommt Bruͤſte.
Der Seebaͤr und Seeloͤwe hat ſeine vier Fuͤße ſchon kaͤnnt-
lich, ob er gleich die hinterſten noch nicht gebrauchen kann
und die fuͤnf Zehen derſelben noch als Lappen von Floßfe-
dern nach ſich ziehet; er kriecht indeß, wie er kann, leiſe
heran, um ſich am Stral der Sonne zu waͤrmen und iſt

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[93/0115] Welchen großen und reichen Anblick gibt dieſe Ausſicht uͤber die Geſchichte der uns aͤhnlichen und unaͤhnlichen We- ſen! Sie ſcheidet die Reiche der Natur und die Claſſen der Geſchoͤpfe nach ihren Elementen und verbindet ſie mit ein- ander; auch in dem entfernſten wird der weitgezogne Ra- dius aus Einem und demſelben Mittelpunkt ſichtbar. Aus Luft und Waſſer, aus Hoͤhen und Tiefen ſehe ich gleichſam die Thiere zum Menſchen kommen, wie ſie dort zum Urvater unſers Geſchlechts kamen und Schritt vor Schritt ſich ſeiner Geſtalt naͤhern. Der Vogel fliegt in der Luft: jede Abwei- chung ſeiner Form vom Bau der Landthiere laͤßt ſich aus ſeinem Element erklaͤren; ſobald er auch nur in einer haͤßli- chen Mittelgattung die Erde beruͤhrt, wird er (wie in den Fledermaͤuſen und Vampyrs) dem Gerippe des Menſchen aͤhnlich. Der Fiſch ſchwimmt im Waſſer; noch ſind ſeine Fuͤße und Haͤnde in Floßfedern und einen Schwanz ver- wachſen: er hat noch wenig Artikulation der Glieder. So- bald er die Erde beruͤhrt, wickelt er wie der Manati, wenig- ſtens die Vorderfuͤße los und das Weib bekommt Bruͤſte. Der Seebaͤr und Seeloͤwe hat ſeine vier Fuͤße ſchon kaͤnnt- lich, ob er gleich die hinterſten noch nicht gebrauchen kann und die fuͤnf Zehen derſelben noch als Lappen von Floßfe- dern nach ſich ziehet; er kriecht indeß, wie er kann, leiſe heran, um ſich am Stral der Sonne zu waͤrmen und iſt ſchon M 3

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/115>, abgerufen am 22.11.2024.