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Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784.

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Perraults, Pallas und andrer Akademisten durch; und der
Augenschein zeiget es deutlich. Die Naturgeschichte für
Jünglinge und Kinder muß sich, um dem Auge und Gedächtniß
zu Hülfe zu kommen, an einzelnen Unterscheidungen der äus-
sern Gestalt begnügen; die männliche und philosophische
Naturgeschichte suchet den Bau des Thiers von innen und
aussen, um ihn mit seiner Lebensweise zu vergleichen und den
Charakter und Standort des Geschöpfs zu finden. Bei den
Pflanzen hat man diese Methode die natürliche genannt
und auch bei den Thieren muß die vergleichende Anatomie
Schritt vor Schritt zu ihr führen. Mit ihr bekommt der Mensch
natürlicher Weise an sich selbst einen Leitfaden, der ihn durchs
große Labyrinth der lebendigen Schöpfung begleite und wenn
man bei irgend einer Methode sagen kann, daß unser Geist
dem durchdenkenden vielumfassenden Verstande Gottes nach-
zudenken wage, so ists bei dieser. Bei jeder Abweichung
von der Regel, die uns der oberste Künstler als ein Gesetz
Polyklets im Menschen darstellte, werden wir auf eine Ur-
sache geführt: warum er hier abwich? zu welchem Zweck er
dort anders formte? und so wird uns Erde, Luft, Wasser,
selbst die tiefste Tiefe der belebten Schöpfung ein Vorraths-
haus seiner Gedanken, seiner Erfindungen nach und zu Ei-
nem Hauptbilde der Kunst und Weisheit.


Wel-

Perraults, Pallas und andrer Akademiſten durch; und der
Augenſchein zeiget es deutlich. Die Naturgeſchichte fuͤr
Juͤnglinge und Kinder muß ſich, um dem Auge und Gedaͤchtniß
zu Huͤlfe zu kommen, an einzelnen Unterſcheidungen der aͤuſ-
ſern Geſtalt begnuͤgen; die maͤnnliche und philoſophiſche
Naturgeſchichte ſuchet den Bau des Thiers von innen und
auſſen, um ihn mit ſeiner Lebensweiſe zu vergleichen und den
Charakter und Standort des Geſchoͤpfs zu finden. Bei den
Pflanzen hat man dieſe Methode die natuͤrliche genannt
und auch bei den Thieren muß die vergleichende Anatomie
Schritt vor Schritt zu ihr fuͤhren. Mit ihr bekommt der Menſch
natuͤrlicher Weiſe an ſich ſelbſt einen Leitfaden, der ihn durchs
große Labyrinth der lebendigen Schoͤpfung begleite und wenn
man bei irgend einer Methode ſagen kann, daß unſer Geiſt
dem durchdenkenden vielumfaſſenden Verſtande Gottes nach-
zudenken wage, ſo iſts bei dieſer. Bei jeder Abweichung
von der Regel, die uns der oberſte Kuͤnſtler als ein Geſetz
Polyklets im Menſchen darſtellte, werden wir auf eine Ur-
ſache gefuͤhrt: warum er hier abwich? zu welchem Zweck er
dort anders formte? und ſo wird uns Erde, Luft, Waſſer,
ſelbſt die tiefſte Tiefe der belebten Schoͤpfung ein Vorraths-
haus ſeiner Gedanken, ſeiner Erfindungen nach und zu Ei-
nem Hauptbilde der Kunſt und Weisheit.


Wel-
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[92/0114] Perraults, Pallas und andrer Akademiſten durch; und der Augenſchein zeiget es deutlich. Die Naturgeſchichte fuͤr Juͤnglinge und Kinder muß ſich, um dem Auge und Gedaͤchtniß zu Huͤlfe zu kommen, an einzelnen Unterſcheidungen der aͤuſ- ſern Geſtalt begnuͤgen; die maͤnnliche und philoſophiſche Naturgeſchichte ſuchet den Bau des Thiers von innen und auſſen, um ihn mit ſeiner Lebensweiſe zu vergleichen und den Charakter und Standort des Geſchoͤpfs zu finden. Bei den Pflanzen hat man dieſe Methode die natuͤrliche genannt und auch bei den Thieren muß die vergleichende Anatomie Schritt vor Schritt zu ihr fuͤhren. Mit ihr bekommt der Menſch natuͤrlicher Weiſe an ſich ſelbſt einen Leitfaden, der ihn durchs große Labyrinth der lebendigen Schoͤpfung begleite und wenn man bei irgend einer Methode ſagen kann, daß unſer Geiſt dem durchdenkenden vielumfaſſenden Verſtande Gottes nach- zudenken wage, ſo iſts bei dieſer. Bei jeder Abweichung von der Regel, die uns der oberſte Kuͤnſtler als ein Geſetz Polyklets im Menſchen darſtellte, werden wir auf eine Ur- ſache gefuͤhrt: warum er hier abwich? zu welchem Zweck er dort anders formte? und ſo wird uns Erde, Luft, Waſſer, ſelbſt die tiefſte Tiefe der belebten Schoͤpfung ein Vorraths- haus ſeiner Gedanken, ſeiner Erfindungen nach und zu Ei- nem Hauptbilde der Kunſt und Weisheit. Wel-

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 1. Riga u. a., 1784, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte01_1784/114>, abgerufen am 22.11.2024.