Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773.

Bild:
<< vorherige Seite

Wers gewönn' aus Kunst oder aus Glück
Dank sollt' er davon tragen.

Der Kukuk sprach: "so dirs gefällt
"-- Hab der Sach einen Richter erwählt!"
Und thät den Esel nennen.
Denn weil der hat zwey Ohren groß,|
So kann er hören desto baß
Und was recht ist, erkennen!
Als ihm die Sach nun ward erzählt, (ver-
muthlich vertalt)
Und er zu richten hat Gewalt,
Schuf er: sie solten singen!
Die Nachtigall sang lieblich aus;
Der Esel sprach: Du machst mirs kraus!
Jch kanns in Kopf nicht bringen.
Der Kukuk fing auch an und sang
Wie er denn pflegt zu singen:
Kukuk! Kukuk! -- lacht fein darein!
Das gefiel dem Esel im Sinne sein.
Er sprach: in allen Rechten
Will ich ein Urtheil sprechen:
Hast wohl gesungen, Nachtigal,
Aber! -- Kukuk! -- singt gut Choral!
Und hält den Takt fein innen.
Das sprech' ich nach meinem hohen Verstand,
Und ob es gölt ein ganzes Land
So laß ichs dich gewinnen --

Was meinen Sie zu der Fabel? Nicht lieber
zehn solche gemacht, als alle - - - sche? Lassen
Sie mich die Moral nicht dazu setzen, sie ist
schlechter gesagt, neuer, und wie vieler-
ley Moral kann sich nicht jeder selbst daraus

zie-
D 4

Wers gewoͤnn’ aus Kunſt oder aus Gluͤck
Dank ſollt’ er davon tragen.

Der Kukuk ſprach: „ſo dirs gefaͤllt
„— Hab der Sach einen Richter erwaͤhlt!„
Und thaͤt den Eſel nennen.
Denn weil der hat zwey Ohren groß,|
So kann er hoͤren deſto baß
Und was recht iſt, erkennen!
Als ihm die Sach nun ward erzaͤhlt, (ver-
muthlich vertalt)
Und er zu richten hat Gewalt,
Schuf er: ſie ſolten ſingen!
Die Nachtigall ſang lieblich aus;
Der Eſel ſprach: Du machſt mirs kraus!
Jch kanns in Kopf nicht bringen.
Der Kukuk fing auch an und ſang
Wie er denn pflegt zu ſingen:
Kukuk! Kukuk! — lacht fein darein!
Das gefiel dem Eſel im Sinne ſein.
Er ſprach: in allen Rechten
Will ich ein Urtheil ſprechen:
Haſt wohl geſungen, Nachtigal,
Aber! — Kukuk! — ſingt gut Choral!
Und haͤlt den Takt fein innen.
Das ſprech’ ich nach meinem hohen Verſtand,
Und ob es goͤlt ein ganzes Land
So laß ichs dich gewinnen —

Was meinen Sie zu der Fabel? Nicht lieber
zehn ſolche gemacht, als alle - - - ſche? Laſſen
Sie mich die Moral nicht dazu ſetzen, ſie iſt
ſchlechter geſagt, neuer, und wie vieler-
ley Moral kann ſich nicht jeder ſelbſt daraus

zie-
D 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <cit>
          <quote>
            <lg type="poem">
              <lg n="1">
                <pb facs="#f0059" n="55"/>
                <l>Wers gewo&#x0364;nn&#x2019; aus Kun&#x017F;t oder aus Glu&#x0364;ck</l><lb/>
                <l>Dank &#x017F;ollt&#x2019; er davon tragen.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="2">
                <l>Der Kukuk &#x017F;prach: &#x201E;&#x017F;o dirs gefa&#x0364;llt</l><lb/>
                <l>&#x201E;&#x2014; Hab der Sach einen Richter erwa&#x0364;hlt!&#x201E;</l><lb/>
                <l>Und tha&#x0364;t den E&#x017F;el nennen.</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#fr">Denn weil der hat zwey Ohren groß,|</hi> </l><lb/>
                <l> <hi rendition="#fr">So kann er ho&#x0364;ren de&#x017F;to baß</hi> </l><lb/>
                <l>Und was recht i&#x017F;t, erkennen!</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="3">
                <l>Als ihm die Sach nun ward erza&#x0364;hlt, (ver-</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#et">muthlich vertalt)</hi> </l><lb/>
                <l>Und er zu richten hat Gewalt,</l><lb/>
                <l>Schuf er: &#x017F;ie &#x017F;olten &#x017F;ingen!</l><lb/>
                <l>Die Nachtigall &#x017F;ang lieblich aus;</l><lb/>
                <l>Der E&#x017F;el &#x017F;prach: <hi rendition="#fr">Du mach&#x017F;t mirs kraus!</hi></l><lb/>
                <l>Jch kanns in Kopf nicht bringen.</l>
              </lg><lb/>
              <lg n="4">
                <l>Der Kukuk fing auch an und &#x017F;ang</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#fr">Wie er denn pflegt zu &#x017F;ingen:</hi> </l><lb/>
                <l><hi rendition="#fr">Kukuk! Kukuk!</hi> &#x2014; lacht fein darein!</l><lb/>
                <l>Das gefiel dem E&#x017F;el im Sinne &#x017F;ein.</l><lb/>
                <l>Er &#x017F;prach: in allen Rechten</l><lb/>
                <l>Will ich ein Urtheil &#x017F;prechen:</l><lb/>
                <l> <hi rendition="#fr">Ha&#x017F;t wohl ge&#x017F;ungen, Nachtigal,</hi> </l><lb/>
                <l> <hi rendition="#fr">Aber! &#x2014; Kukuk! &#x2014; &#x017F;ingt gut Choral!</hi> </l><lb/>
                <l>Und ha&#x0364;lt den Takt fein innen.</l><lb/>
                <l>Das &#x017F;prech&#x2019; ich nach meinem hohen Ver&#x017F;tand,</l><lb/>
                <l>Und ob es go&#x0364;lt ein ganzes Land</l><lb/>
                <l>So laß ichs dich gewinnen &#x2014;</l>
              </lg>
            </lg>
          </quote>
          <bibl/>
        </cit><lb/>
        <p>Was meinen Sie zu der Fabel? Nicht lieber<lb/>
zehn &#x017F;olche gemacht, als alle - - - &#x017F;che? La&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Sie mich die Moral nicht dazu &#x017F;etzen, &#x017F;ie i&#x017F;t<lb/>
&#x017F;chlechter ge&#x017F;agt, neuer, und wie vieler-<lb/>
ley Moral kann &#x017F;ich nicht jeder &#x017F;elb&#x017F;t daraus<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D 4</fw><fw place="bottom" type="catch">zie-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[55/0059] Wers gewoͤnn’ aus Kunſt oder aus Gluͤck Dank ſollt’ er davon tragen. Der Kukuk ſprach: „ſo dirs gefaͤllt „— Hab der Sach einen Richter erwaͤhlt!„ Und thaͤt den Eſel nennen. Denn weil der hat zwey Ohren groß,| So kann er hoͤren deſto baß Und was recht iſt, erkennen! Als ihm die Sach nun ward erzaͤhlt, (ver- muthlich vertalt) Und er zu richten hat Gewalt, Schuf er: ſie ſolten ſingen! Die Nachtigall ſang lieblich aus; Der Eſel ſprach: Du machſt mirs kraus! Jch kanns in Kopf nicht bringen. Der Kukuk fing auch an und ſang Wie er denn pflegt zu ſingen: Kukuk! Kukuk! — lacht fein darein! Das gefiel dem Eſel im Sinne ſein. Er ſprach: in allen Rechten Will ich ein Urtheil ſprechen: Haſt wohl geſungen, Nachtigal, Aber! — Kukuk! — ſingt gut Choral! Und haͤlt den Takt fein innen. Das ſprech’ ich nach meinem hohen Verſtand, Und ob es goͤlt ein ganzes Land So laß ichs dich gewinnen — Was meinen Sie zu der Fabel? Nicht lieber zehn ſolche gemacht, als alle - - - ſche? Laſſen Sie mich die Moral nicht dazu ſetzen, ſie iſt ſchlechter geſagt, neuer, und wie vieler- ley Moral kann ſich nicht jeder ſelbſt daraus zie- D 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/59
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/59>, abgerufen am 08.05.2024.