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Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773.

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Volks gemacht hat, lassen sie uns sehen, was
daran sey?

Zuerst muß ich Jhnen also, wenn es auf
Erfahrung und Autorität ankommt, sagen,
daß Nichts in der Welt mehr Sprünge und
kühne Würfe hat, als Lieder des Volks, und
eben die Lieder des Volks haben deren am mei-
sten, die selbst in ihrem Mittel gedacht, erson-
nen, entsprungen und gebohren sind, und die
sie daher mit so viel Aufwallung und Feuer
singen, und zu fingen nicht ablassen können.
Mir ist z. E. ein Jägerlied bekannt, das ich
wohl unterlassen werde, Jhnen ganz mitzuthei-
len, weil sich das Meiste und Anziehendste in
ihm, auf lebendigen Ton und Melodie des
Horns
beziehet; aber bey allem Simpeln und
Populären ist kein Vers ohne Sprung und
Wurf des Dialogs, der in einem neuen Ge-
dichte gewiß Erstaunen machte, und über den
unsre lahme Kunstrichter, als so unverständlich,
kühn, dithyrambisch schreyen würden. Ein
Jäger hat Abends spät das Netz gestellt, und
bläßt alleweil bey der Nacht, (welche Wort
die Jägerresonanz sind) mit seinem Horne das
Wild aus dem Korn ins lange Holz: alleweil
bey Nacht begegnet ihm also von fern eine
Jungfrau stolz, und da hebt sich dieser Dia-
log an:

Wo

Volks gemacht hat, laſſen ſie uns ſehen, was
daran ſey?

Zuerſt muß ich Jhnen alſo, wenn es auf
Erfahrung und Autoritaͤt ankommt, ſagen,
daß Nichts in der Welt mehr Spruͤnge und
kuͤhne Wuͤrfe hat, als Lieder des Volks, und
eben die Lieder des Volks haben deren am mei-
ſten, die ſelbſt in ihrem Mittel gedacht, erſon-
nen, entſprungen und gebohren ſind, und die
ſie daher mit ſo viel Aufwallung und Feuer
ſingen, und zu fingen nicht ablaſſen koͤnnen.
Mir iſt z. E. ein Jaͤgerlied bekannt, das ich
wohl unterlaſſen werde, Jhnen ganz mitzuthei-
len, weil ſich das Meiſte und Anziehendſte in
ihm, auf lebendigen Ton und Melodie des
Horns
beziehet; aber bey allem Simpeln und
Populaͤren iſt kein Vers ohne Sprung und
Wurf des Dialogs, der in einem neuen Ge-
dichte gewiß Erſtaunen machte, und uͤber den
unſre lahme Kunſtrichter, als ſo unverſtaͤndlich,
kuͤhn, dithyrambiſch ſchreyen wuͤrden. Ein
Jaͤger hat Abends ſpaͤt das Netz geſtellt, und
blaͤßt alleweil bey der Nacht, (welche Wort
die Jaͤgerreſonanz ſind) mit ſeinem Horne das
Wild aus dem Korn ins lange Holz: alleweil
bey Nacht begegnet ihm alſo von fern eine
Jungfrau ſtolz, und da hebt ſich dieſer Dia-
log an:

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[47/0051] Volks gemacht hat, laſſen ſie uns ſehen, was daran ſey? Zuerſt muß ich Jhnen alſo, wenn es auf Erfahrung und Autoritaͤt ankommt, ſagen, daß Nichts in der Welt mehr Spruͤnge und kuͤhne Wuͤrfe hat, als Lieder des Volks, und eben die Lieder des Volks haben deren am mei- ſten, die ſelbſt in ihrem Mittel gedacht, erſon- nen, entſprungen und gebohren ſind, und die ſie daher mit ſo viel Aufwallung und Feuer ſingen, und zu fingen nicht ablaſſen koͤnnen. Mir iſt z. E. ein Jaͤgerlied bekannt, das ich wohl unterlaſſen werde, Jhnen ganz mitzuthei- len, weil ſich das Meiſte und Anziehendſte in ihm, auf lebendigen Ton und Melodie des Horns beziehet; aber bey allem Simpeln und Populaͤren iſt kein Vers ohne Sprung und Wurf des Dialogs, der in einem neuen Ge- dichte gewiß Erſtaunen machte, und uͤber den unſre lahme Kunſtrichter, als ſo unverſtaͤndlich, kuͤhn, dithyrambiſch ſchreyen wuͤrden. Ein Jaͤger hat Abends ſpaͤt das Netz geſtellt, und blaͤßt alleweil bey der Nacht, (welche Wort die Jaͤgerreſonanz ſind) mit ſeinem Horne das Wild aus dem Korn ins lange Holz: alleweil bey Nacht begegnet ihm alſo von fern eine Jungfrau ſtolz, und da hebt ſich dieſer Dia- log an: Wo

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/51>, abgerufen am 08.05.2024.