Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773.

Bild:
<< vorherige Seite

sie nach einem sichern Verhältniß bestimmen zu
wollen, und bald, ohne es zu können.

Jedoch ein aufmerksamer Kenner der deut-
schen Geschichte wird dieses alles fruchtbarer
einsehen, und leicht erkennen, daß wir nur als-
denn erst eine brauchbare und pragmatische Ge-
schichte unsers Vaterlandes erhalten werden,
wenn es einem Manne von gehöriger Einsicht
gelingen wird, sich auf eine solche Höhe zu se-
tzen, wovon er alle diese Veränderungen, welche
den Reichsboden und seine Eigenthümer be-
troffen, mit ihren Ursachen und Folgen in den
einzelnen Theilen des deutschen Reichs überse-
hen, solche zu einem einzigen Hauptzwecke ver-
einigen, und dieses in seiner ganzen Grösse
umgemahlt und umgeschnitzt, aber stark und
rein aufstellen kann. Wie vieles wird aber ein
Gatterer noch mit Recht fodern, ehe ein Ge-
schichtschreiber jene Höhe besteigen und sein
ganzes Feld im vollkommensten Lichte überse-
hen kann?

Jndessen bleibt ein solches Werk dem deut-
schen Genie und Fleisse noch immer angemessen,
und belohnt ihm die Mühe. Der mächtige und
reissende Hang grosser Völkervereinigungen
zur Monarchie und die unsägliche Arbeit der
Ehre oder nach unser Art zu reden der Freyheit,
womit sie jenem Hange begegnen, oder ihrer
jetzt fallenden Säule einen bequemen Fall hat

ver-

ſie nach einem ſichern Verhaͤltniß beſtimmen zu
wollen, und bald, ohne es zu koͤnnen.

Jedoch ein aufmerkſamer Kenner der deut-
ſchen Geſchichte wird dieſes alles fruchtbarer
einſehen, und leicht erkennen, daß wir nur als-
denn erſt eine brauchbare und pragmatiſche Ge-
ſchichte unſers Vaterlandes erhalten werden,
wenn es einem Manne von gehoͤriger Einſicht
gelingen wird, ſich auf eine ſolche Hoͤhe zu ſe-
tzen, wovon er alle dieſe Veraͤnderungen, welche
den Reichsboden und ſeine Eigenthuͤmer be-
troffen, mit ihren Urſachen und Folgen in den
einzelnen Theilen des deutſchen Reichs uͤberſe-
hen, ſolche zu einem einzigen Hauptzwecke ver-
einigen, und dieſes in ſeiner ganzen Groͤſſe
umgemahlt und umgeſchnitzt, aber ſtark und
rein aufſtellen kann. Wie vieles wird aber ein
Gatterer noch mit Recht fodern, ehe ein Ge-
ſchichtſchreiber jene Hoͤhe beſteigen und ſein
ganzes Feld im vollkommenſten Lichte uͤberſe-
hen kann?

Jndeſſen bleibt ein ſolches Werk dem deut-
ſchen Genie und Fleiſſe noch immer angemeſſen,
und belohnt ihm die Muͤhe. Der maͤchtige und
reiſſende Hang groſſer Voͤlkervereinigungen
zur Monarchie und die unſaͤgliche Arbeit der
Ehre oder nach unſer Art zu reden der Freyheit,
womit ſie jenem Hange begegnen, oder ihrer
jetzt fallenden Saͤule einen bequemen Fall hat

ver-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0184" n="180"/>
&#x017F;ie nach einem &#x017F;ichern Verha&#x0364;ltniß be&#x017F;timmen zu<lb/>
wollen, und bald, ohne es zu ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
          <p>Jedoch ein aufmerk&#x017F;amer Kenner der deut-<lb/>
&#x017F;chen Ge&#x017F;chichte wird die&#x017F;es alles fruchtbarer<lb/>
ein&#x017F;ehen, und leicht erkennen, daß wir nur als-<lb/>
denn er&#x017F;t eine brauchbare und pragmati&#x017F;che Ge-<lb/>
&#x017F;chichte un&#x017F;ers Vaterlandes erhalten werden,<lb/>
wenn es einem Manne von geho&#x0364;riger Ein&#x017F;icht<lb/>
gelingen wird, &#x017F;ich auf eine &#x017F;olche Ho&#x0364;he zu &#x017F;e-<lb/>
tzen, wovon er alle die&#x017F;e Vera&#x0364;nderungen, welche<lb/>
den Reichsboden und &#x017F;eine Eigenthu&#x0364;mer be-<lb/>
troffen, mit ihren Ur&#x017F;achen und Folgen in den<lb/>
einzelnen Theilen des deut&#x017F;chen Reichs u&#x0364;ber&#x017F;e-<lb/>
hen, &#x017F;olche zu einem einzigen Hauptzwecke ver-<lb/>
einigen, und die&#x017F;es in &#x017F;einer ganzen Gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e<lb/>
umgemahlt und umge&#x017F;chnitzt, aber &#x017F;tark und<lb/>
rein auf&#x017F;tellen kann. Wie vieles wird aber ein<lb/><hi rendition="#fr">Gatterer</hi> noch mit Recht fodern, ehe ein Ge-<lb/>
&#x017F;chicht&#x017F;chreiber jene Ho&#x0364;he be&#x017F;teigen und &#x017F;ein<lb/>
ganzes Feld im vollkommen&#x017F;ten Lichte u&#x0364;ber&#x017F;e-<lb/>
hen kann?</p><lb/>
          <p>Jnde&#x017F;&#x017F;en bleibt ein &#x017F;olches Werk dem deut-<lb/>
&#x017F;chen Genie und Flei&#x017F;&#x017F;e noch immer angeme&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
und belohnt ihm die Mu&#x0364;he. Der ma&#x0364;chtige und<lb/>
rei&#x017F;&#x017F;ende Hang gro&#x017F;&#x017F;er Vo&#x0364;lkervereinigungen<lb/>
zur Monarchie und die un&#x017F;a&#x0364;gliche Arbeit der<lb/>
Ehre oder nach un&#x017F;er Art zu reden der Freyheit,<lb/>
womit &#x017F;ie jenem Hange begegnen, oder ihrer<lb/>
jetzt fallenden Sa&#x0364;ule einen bequemen Fall hat<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ver-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[180/0184] ſie nach einem ſichern Verhaͤltniß beſtimmen zu wollen, und bald, ohne es zu koͤnnen. Jedoch ein aufmerkſamer Kenner der deut- ſchen Geſchichte wird dieſes alles fruchtbarer einſehen, und leicht erkennen, daß wir nur als- denn erſt eine brauchbare und pragmatiſche Ge- ſchichte unſers Vaterlandes erhalten werden, wenn es einem Manne von gehoͤriger Einſicht gelingen wird, ſich auf eine ſolche Hoͤhe zu ſe- tzen, wovon er alle dieſe Veraͤnderungen, welche den Reichsboden und ſeine Eigenthuͤmer be- troffen, mit ihren Urſachen und Folgen in den einzelnen Theilen des deutſchen Reichs uͤberſe- hen, ſolche zu einem einzigen Hauptzwecke ver- einigen, und dieſes in ſeiner ganzen Groͤſſe umgemahlt und umgeſchnitzt, aber ſtark und rein aufſtellen kann. Wie vieles wird aber ein Gatterer noch mit Recht fodern, ehe ein Ge- ſchichtſchreiber jene Hoͤhe beſteigen und ſein ganzes Feld im vollkommenſten Lichte uͤberſe- hen kann? Jndeſſen bleibt ein ſolches Werk dem deut- ſchen Genie und Fleiſſe noch immer angemeſſen, und belohnt ihm die Muͤhe. Der maͤchtige und reiſſende Hang groſſer Voͤlkervereinigungen zur Monarchie und die unſaͤgliche Arbeit der Ehre oder nach unſer Art zu reden der Freyheit, womit ſie jenem Hange begegnen, oder ihrer jetzt fallenden Saͤule einen bequemen Fall hat ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/184
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/184>, abgerufen am 09.11.2024.