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Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773.

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genthümer in jedem kleinen Striche, Städte
und Festungen unter sich dulden, geldreiche
Leute an der Gesetzgebung Theil nehmen lassen
und nicht mehr besugt bleiben sollten, sich selbst
einen Richter zu setzen und Recht zu geben.

Dabey war es ein Glück, sowohl für den ca-
tholischen als evangelischen Reichsfürsten, daß
der Kaiser sich der Reformation nicht so bedie-
net hatte, wie es wohl wäre möglich gewesen.
Luthers Lehre war der gemeinen Freyheit gün-
stig. Eine unvorsichtige Anwendung derselben
hätte hundert Thomas Münzers erwecken, und
dem Kaiser die vollkommenste Monarchie zu-
wenden können, wenn er die erste Bewegung
recht genutzt, alles Pacht- Lehn- und Zinswe-
sen im Reiche gesprengt, die Bauern zu Landei-
genthümern gemacht, und sich ihres wohlge-
meynten Wahns gegen ihre Landes Gerichts-
und Guthoherrn bedienet hätte. Allein er dach-
te zu groß dazu; und eine solche Unternehmung
würde, nachdem der Ausschlag gewesen wäre,
die größte oder treuloseste gewesen seyn.

Jndessen verlohr sich in dieser Periode der
alte Begriff des Eigenthums völlig; man fühl-
te es kaum mehr, daß einer Rechtsgenoß seyn
müsse, um ein echtes Eigenthum zu haben.
Eben so gieng es sowohl der hohen als gemeinen
Ehre. Erstere verwandelte sich fast durchge-
hends in Freyheit; und von der letztern: ho-

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genthuͤmer in jedem kleinen Striche, Staͤdte
und Feſtungen unter ſich dulden, geldreiche
Leute an der Geſetzgebung Theil nehmen laſſen
und nicht mehr beſugt bleiben ſollten, ſich ſelbſt
einen Richter zu ſetzen und Recht zu geben.

Dabey war es ein Gluͤck, ſowohl fuͤr den ca-
tholiſchen als evangeliſchen Reichsfuͤrſten, daß
der Kaiſer ſich der Reformation nicht ſo bedie-
net hatte, wie es wohl waͤre moͤglich geweſen.
Luthers Lehre war der gemeinen Freyheit guͤn-
ſtig. Eine unvorſichtige Anwendung derſelben
haͤtte hundert Thomas Muͤnzers erwecken, und
dem Kaiſer die vollkommenſte Monarchie zu-
wenden koͤnnen, wenn er die erſte Bewegung
recht genutzt, alles Pacht- Lehn- und Zinswe-
ſen im Reiche geſprengt, die Bauern zu Landei-
genthuͤmern gemacht, und ſich ihres wohlge-
meynten Wahns gegen ihre Landes Gerichts-
und Guthoherrn bedienet haͤtte. Allein er dach-
te zu groß dazu; und eine ſolche Unternehmung
wuͤrde, nachdem der Ausſchlag geweſen waͤre,
die groͤßte oder treuloſeſte geweſen ſeyn.

Jndeſſen verlohr ſich in dieſer Periode der
alte Begriff des Eigenthums voͤllig; man fuͤhl-
te es kaum mehr, daß einer Rechtsgenoß ſeyn
muͤſſe, um ein echtes Eigenthum zu haben.
Eben ſo gieng es ſowohl der hohen als gemeinen
Ehre. Erſtere verwandelte ſich faſt durchge-
hends in Freyheit; und von der letztern: ho-

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[177/0181] genthuͤmer in jedem kleinen Striche, Staͤdte und Feſtungen unter ſich dulden, geldreiche Leute an der Geſetzgebung Theil nehmen laſſen und nicht mehr beſugt bleiben ſollten, ſich ſelbſt einen Richter zu ſetzen und Recht zu geben. Dabey war es ein Gluͤck, ſowohl fuͤr den ca- tholiſchen als evangeliſchen Reichsfuͤrſten, daß der Kaiſer ſich der Reformation nicht ſo bedie- net hatte, wie es wohl waͤre moͤglich geweſen. Luthers Lehre war der gemeinen Freyheit guͤn- ſtig. Eine unvorſichtige Anwendung derſelben haͤtte hundert Thomas Muͤnzers erwecken, und dem Kaiſer die vollkommenſte Monarchie zu- wenden koͤnnen, wenn er die erſte Bewegung recht genutzt, alles Pacht- Lehn- und Zinswe- ſen im Reiche geſprengt, die Bauern zu Landei- genthuͤmern gemacht, und ſich ihres wohlge- meynten Wahns gegen ihre Landes Gerichts- und Guthoherrn bedienet haͤtte. Allein er dach- te zu groß dazu; und eine ſolche Unternehmung wuͤrde, nachdem der Ausſchlag geweſen waͤre, die groͤßte oder treuloſeſte geweſen ſeyn. Jndeſſen verlohr ſich in dieſer Periode der alte Begriff des Eigenthums voͤllig; man fuͤhl- te es kaum mehr, daß einer Rechtsgenoß ſeyn muͤſſe, um ein echtes Eigenthum zu haben. Eben ſo gieng es ſowohl der hohen als gemeinen Ehre. Erſtere verwandelte ſich faſt durchge- hends in Freyheit; und von der letztern: ho- nore M 2

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Von Deutscher Art und Kunst. Hamburg, 1773, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_artundkunst_1773/181>, abgerufen am 07.05.2024.