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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

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er wolle, wer hat das aber je? Der Fuchs hat
tausendmal so gehandelt, als ihn Aesop handeln
läßt; er hat aber nie in Aesops Sinne gehandelt,
und das Erstemal daß er das kann, wird Meister
Fuchs sich seine Sprache erfinden, und über Aesop
so fabeln können, als Aesop jezt über ihn. Der
Hund hat viele Worte und Befehle verstehen ge-
lernt; aber nicht als Worte, sondern als Zeichen,
mit Gebehrden, mit Handlungen verbunden; ver-
stünde er je ein Einziges Wort im menschlichen
Sinne, so dienet er nicht mehr, so schaffet er sich
selbst Kunst und Republick und Sprache. Man
sieht, wenn man einmal den Punkt der genauen
Genese verfehlt, so ist das Feld des Jrrthums zu
beiden Seiten unermeßlich groß! da ist die Spra-
che bald so übermenschlich, daß sie Gott erfinden
muß, bald so unmenschlich, daß jedes Thier sie er-
finden könnte, wenn es sich die Mühe nähme.
Das Ziel der Wahrheit ist nur ein Punkt! auf
den hingestellet, sehen wir aber auf alle Seiten-
warum kein Thier Sprache erfinden kann? kein
Gott, Sprache erfinden darf? und der Mensch,
als Mensch, Sprache erfinden kann und muß?

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er wolle, wer hat das aber je? Der Fuchs hat
tauſendmal ſo gehandelt, als ihn Aeſop handeln
laͤßt; er hat aber nie in Aeſops Sinne gehandelt,
und das Erſtemal daß er das kann, wird Meiſter
Fuchs ſich ſeine Sprache erfinden, und uͤber Aeſop
ſo fabeln koͤnnen, als Aeſop jezt uͤber ihn. Der
Hund hat viele Worte und Befehle verſtehen ge-
lernt; aber nicht als Worte, ſondern als Zeichen,
mit Gebehrden, mit Handlungen verbunden; ver-
ſtuͤnde er je ein Einziges Wort im menſchlichen
Sinne, ſo dienet er nicht mehr, ſo ſchaffet er ſich
ſelbſt Kunſt und Republick und Sprache. Man
ſieht, wenn man einmal den Punkt der genauen
Geneſe verfehlt, ſo iſt das Feld des Jrrthums zu
beiden Seiten unermeßlich groß! da iſt die Spra-
che bald ſo uͤbermenſchlich, daß ſie Gott erfinden
muß, bald ſo unmenſchlich, daß jedes Thier ſie er-
finden koͤnnte, wenn es ſich die Muͤhe naͤhme.
Das Ziel der Wahrheit iſt nur ein Punkt! auf
den hingeſtellet, ſehen wir aber auf alle Seiten-
warum kein Thier Sprache erfinden kann? kein
Gott, Sprache erfinden darf? und der Menſch,
als Menſch, Sprache erfinden kann und muß?

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[71/0077] er wolle, wer hat das aber je? Der Fuchs hat tauſendmal ſo gehandelt, als ihn Aeſop handeln laͤßt; er hat aber nie in Aeſops Sinne gehandelt, und das Erſtemal daß er das kann, wird Meiſter Fuchs ſich ſeine Sprache erfinden, und uͤber Aeſop ſo fabeln koͤnnen, als Aeſop jezt uͤber ihn. Der Hund hat viele Worte und Befehle verſtehen ge- lernt; aber nicht als Worte, ſondern als Zeichen, mit Gebehrden, mit Handlungen verbunden; ver- ſtuͤnde er je ein Einziges Wort im menſchlichen Sinne, ſo dienet er nicht mehr, ſo ſchaffet er ſich ſelbſt Kunſt und Republick und Sprache. Man ſieht, wenn man einmal den Punkt der genauen Geneſe verfehlt, ſo iſt das Feld des Jrrthums zu beiden Seiten unermeßlich groß! da iſt die Spra- che bald ſo uͤbermenſchlich, daß ſie Gott erfinden muß, bald ſo unmenſchlich, daß jedes Thier ſie er- finden koͤnnte, wenn es ſich die Muͤhe naͤhme. Das Ziel der Wahrheit iſt nur ein Punkt! auf den hingeſtellet, ſehen wir aber auf alle Seiten- warum kein Thier Sprache erfinden kann? kein Gott, Sprache erfinden darf? und der Menſch, als Menſch, Sprache erfinden kann und muß? Weiter E 4

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/77>, abgerufen am 25.11.2024.