Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite

nur eine Luftblase blendend gemacht, die er eine
Zeitlang vor sich hertreibt, die ihm selbst aber unver-
muthet auf seinem Wege zerspringt. Und ist in
der Fähigkeit nichts da; wodurch soll es denn je in
die Seele kommen? Jst im ersten Zustande nichts
Positives von Vernunft in der Seele, wie wirds
bei Millionen der folgenden Zustände würklich wer-
den? Es ist Worttrug, daß der Gebrauch eine
Fähigkeit, in Kraft, etwas blos Mögliches, in ein
Würkliches verwandeln könne -- ist nicht schon
Kraft da, so kann sie ja nicht gebraucht und ange-
wandt werden. Zudem endlich, was ist beides,
eine abgetrennte Vernunftfähigkeit und Vernunft-
kraft in der Seele? Eines ist so unverständlich, als
das Andre. Setzet den Menschen, als das Wesen
was Er ist, mit dem Grade von Sinnlichkeit, und
der Organisation ins Universum: von allen Sei-
ten, durch alle Sinne strömt dies in Empfindun-
gen auf ihn los; durch menschliche Sinne? Auf
menschliche Weise? So wird also, mit den Thie-
ren verglichen, dies denkende Wesen weniger über-
ströhmt? Es hat Raum, seine Kraft freier zu äus-
sern, und dieses Verhältniß heißt Vernunftmäßig-

keit

nur eine Luftblaſe blendend gemacht, die er eine
Zeitlang vor ſich hertreibt, die ihm ſelbſt aber unver-
muthet auf ſeinem Wege zerſpringt. Und iſt in
der Faͤhigkeit nichts da; wodurch ſoll es denn je in
die Seele kommen? Jſt im erſten Zuſtande nichts
Poſitives von Vernunft in der Seele, wie wirds
bei Millionen der folgenden Zuſtaͤnde wuͤrklich wer-
den? Es iſt Worttrug, daß der Gebrauch eine
Faͤhigkeit, in Kraft, etwas blos Moͤgliches, in ein
Wuͤrkliches verwandeln koͤnne — iſt nicht ſchon
Kraft da, ſo kann ſie ja nicht gebraucht und ange-
wandt werden. Zudem endlich, was iſt beides,
eine abgetrennte Vernunftfaͤhigkeit und Vernunft-
kraft in der Seele? Eines iſt ſo unverſtaͤndlich, als
das Andre. Setzet den Menſchen, als das Weſen
was Er iſt, mit dem Grade von Sinnlichkeit, und
der Organiſation ins Univerſum: von allen Sei-
ten, durch alle Sinne ſtroͤmt dies in Empfindun-
gen auf ihn los; durch menſchliche Sinne? Auf
menſchliche Weiſe? So wird alſo, mit den Thie-
ren verglichen, dies denkende Weſen weniger uͤber-
ſtroͤhmt? Es hat Raum, ſeine Kraft freier zu aͤuſ-
ſern, und dieſes Verhaͤltniß heißt Vernunftmaͤßig-

keit
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0056" n="50"/>
nur eine Luftbla&#x017F;e blendend gemacht, die er eine<lb/>
Zeitlang vor &#x017F;ich hertreibt, die ihm &#x017F;elb&#x017F;t aber unver-<lb/>
muthet auf &#x017F;einem Wege zer&#x017F;pringt. Und i&#x017F;t in<lb/>
der Fa&#x0364;higkeit nichts da; wodurch &#x017F;oll es denn je in<lb/>
die Seele kommen? J&#x017F;t im er&#x017F;ten Zu&#x017F;tande nichts<lb/>
Po&#x017F;itives von Vernunft in der Seele, wie wirds<lb/>
bei Millionen der folgenden Zu&#x017F;ta&#x0364;nde wu&#x0364;rklich wer-<lb/>
den? Es i&#x017F;t Worttrug, daß der <hi rendition="#fr">Gebrauch</hi> eine<lb/>
Fa&#x0364;higkeit, in Kraft, etwas blos Mo&#x0364;gliches, in ein<lb/>
Wu&#x0364;rkliches verwandeln ko&#x0364;nne &#x2014; i&#x017F;t nicht &#x017F;chon<lb/>
Kraft da, &#x017F;o kann &#x017F;ie ja nicht gebraucht und ange-<lb/>
wandt werden. Zudem endlich, was i&#x017F;t beides,<lb/>
eine abgetrennte Vernunftfa&#x0364;higkeit und Vernunft-<lb/>
kraft in der Seele? Eines i&#x017F;t &#x017F;o unver&#x017F;ta&#x0364;ndlich, als<lb/>
das Andre. Setzet den Men&#x017F;chen, als das We&#x017F;en<lb/>
was Er i&#x017F;t, mit dem Grade von Sinnlichkeit, und<lb/>
der Organi&#x017F;ation ins Univer&#x017F;um: von allen Sei-<lb/>
ten, durch alle Sinne &#x017F;tro&#x0364;mt dies in Empfindun-<lb/>
gen auf ihn los; durch men&#x017F;chliche Sinne? Auf<lb/>
men&#x017F;chliche Wei&#x017F;e? So wird al&#x017F;o, mit den Thie-<lb/>
ren verglichen, dies denkende We&#x017F;en weniger u&#x0364;ber-<lb/>
&#x017F;tro&#x0364;hmt? Es hat Raum, &#x017F;eine Kraft freier zu a&#x0364;u&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ern, und die&#x017F;es Verha&#x0364;ltniß heißt Vernunftma&#x0364;ßig-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">keit</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[50/0056] nur eine Luftblaſe blendend gemacht, die er eine Zeitlang vor ſich hertreibt, die ihm ſelbſt aber unver- muthet auf ſeinem Wege zerſpringt. Und iſt in der Faͤhigkeit nichts da; wodurch ſoll es denn je in die Seele kommen? Jſt im erſten Zuſtande nichts Poſitives von Vernunft in der Seele, wie wirds bei Millionen der folgenden Zuſtaͤnde wuͤrklich wer- den? Es iſt Worttrug, daß der Gebrauch eine Faͤhigkeit, in Kraft, etwas blos Moͤgliches, in ein Wuͤrkliches verwandeln koͤnne — iſt nicht ſchon Kraft da, ſo kann ſie ja nicht gebraucht und ange- wandt werden. Zudem endlich, was iſt beides, eine abgetrennte Vernunftfaͤhigkeit und Vernunft- kraft in der Seele? Eines iſt ſo unverſtaͤndlich, als das Andre. Setzet den Menſchen, als das Weſen was Er iſt, mit dem Grade von Sinnlichkeit, und der Organiſation ins Univerſum: von allen Sei- ten, durch alle Sinne ſtroͤmt dies in Empfindun- gen auf ihn los; durch menſchliche Sinne? Auf menſchliche Weiſe? So wird alſo, mit den Thie- ren verglichen, dies denkende Weſen weniger uͤber- ſtroͤhmt? Es hat Raum, ſeine Kraft freier zu aͤuſ- ſern, und dieſes Verhaͤltniß heißt Vernunftmaͤßig- keit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/56
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/56>, abgerufen am 06.05.2024.