Kraft in die Seele hinein gedacht, die dem Men- schen als eine Zugabe vor allen Thieren zu eigen geworden, und die also auch, wie die vierte Stuffe einer Leiter nach den drei untersten, allein betrach- tet werden müsse; und das ist freilich, es mögen es so große Philosophen sagen, als da wollen, Philosophischer Unsinn. Alle Kräfte unsrer und der Thierseelen sind nichts als Metaphysische Ab- straktionen, Würkungen! sie werden abgetheilt, weil sie von unserm schwachen Geiste nicht auf ein- mal betrachtet werden konnten: sie stehen in Ka- piteln, nicht, weil sie so Kapitelweise in der Na- tur würkten, sondern ein Lehrling sie sich vieleicht so am besten entwickelt. Daß wir gewisse ihrer Verrichtungen unter gewisse Hauptnamen ge- bracht haben z. E. Witz, Scharfsinn, Phantasie, Vernunft, ist nicht, als wenn je eine einzige Handlung des Geistes möglich wäre, wo der Witz oder die Vernunft allein würkt: sondern nur, weil wir in dieser Handlung am meisten von der Ab- straktion entdecken, die wir Witz oder Vernunft nennen, z. E. Vergleichung oder Deutlichmachung der Jdeen: überall aber würkt die ganze unabge-
theilte
Kraft in die Seele hinein gedacht, die dem Men- ſchen als eine Zugabe vor allen Thieren zu eigen geworden, und die alſo auch, wie die vierte Stuffe einer Leiter nach den drei unterſten, allein betrach- tet werden muͤſſe; und das iſt freilich, es moͤgen es ſo große Philoſophen ſagen, als da wollen, Philoſophiſcher Unſinn. Alle Kraͤfte unſrer und der Thierſeelen ſind nichts als Metaphyſiſche Ab- ſtraktionen, Wuͤrkungen! ſie werden abgetheilt, weil ſie von unſerm ſchwachen Geiſte nicht auf ein- mal betrachtet werden konnten: ſie ſtehen in Ka- piteln, nicht, weil ſie ſo Kapitelweiſe in der Na- tur wuͤrkten, ſondern ein Lehrling ſie ſich vieleicht ſo am beſten entwickelt. Daß wir gewiſſe ihrer Verrichtungen unter gewiſſe Hauptnamen ge- bracht haben z. E. Witz, Scharfſinn, Phantaſie, Vernunft, iſt nicht, als wenn je eine einzige Handlung des Geiſtes moͤglich waͤre, wo der Witz oder die Vernunft allein wuͤrkt: ſondern nur, weil wir in dieſer Handlung am meiſten von der Ab- ſtraktion entdecken, die wir Witz oder Vernunft nennen, z. E. Vergleichung oder Deutlichmachung der Jdeen: uͤberall aber wuͤrkt die ganze unabge-
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Kraft in die Seele hinein gedacht, die dem Men-
ſchen als eine Zugabe vor allen Thieren zu eigen
geworden, und die alſo auch, wie die vierte Stuffe
einer Leiter nach den drei unterſten, allein betrach-
tet werden muͤſſe; und das iſt freilich, es moͤgen
es ſo große Philoſophen ſagen, als da wollen,
Philoſophiſcher Unſinn. Alle Kraͤfte unſrer und
der Thierſeelen ſind nichts als Metaphyſiſche Ab-
ſtraktionen, Wuͤrkungen! ſie werden abgetheilt,
weil ſie von unſerm ſchwachen Geiſte nicht auf ein-
mal betrachtet werden konnten: ſie ſtehen in Ka-
piteln, nicht, weil ſie ſo Kapitelweiſe in der Na-
tur wuͤrkten, ſondern ein Lehrling ſie ſich vieleicht
ſo am beſten entwickelt. Daß wir gewiſſe ihrer
Verrichtungen unter gewiſſe Hauptnamen ge-
bracht haben z. E. Witz, Scharfſinn, Phantaſie,
Vernunft, iſt nicht, als wenn je eine einzige
Handlung des Geiſtes moͤglich waͤre, wo der Witz
oder die Vernunft allein wuͤrkt: ſondern nur, weil
wir in dieſer Handlung am meiſten von der Ab-
ſtraktion entdecken, die wir Witz oder Vernunft
nennen, z. E. Vergleichung oder Deutlichmachung
der Jdeen: uͤberall aber wuͤrkt die ganze unabge-
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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/50>, abgerufen am 22.07.2024.
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