Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite

ausgesezt: oder ich finde auf jeder Seite Dinge,
die sich gar nicht in der Ordnung einer bildenden
Sprache zutragen konnten. Er sezt zum Grunde
seiner Hypothese: "zwei Kinder, in eine Wüste,
"ehe sie den Gebrauch irgend eines Zeichens ken-
"nen." Warum er nun dies alles setze: "zwei
"Kinder," die also umkommen, oder Thier wer-
den müssen, "in eine Wüste," wo sich die
Schwührigkeit ihres Unterhalts und ihrer Erfin-
dung noch vermehret: "vor dem Gebrauch jedes
"natürlichen Zeichens, und gar vor aller Kännt-
"niß desselben," ohne welche doch kein Säugling
nach wenigen Wochen seiner Geburt ist -- warum,
sage ich, in einer Hypothese, die dem Naturgange
menschlicher Känntniß nachspühren soll, solche un-
natürliche, sich wiedersprechende Data zum Grunde
gelegt werden müssen, mag ihr Verfasser wissen;
daß aber auf sie keine Erklärung des Ursprungs der
Sprache gebauet sey, getraue ich mich zu erweisen.
Seine beiden Kinder kommen ohne Känntniß je-
des Zeichens zusammen, und -- siehe da! im er-
sten Augenblicke (§. 2.) "sind sie schon im gegensei-
"tigen Commerz." Und doch blos durch dies ge-

gensei-
B 5

ausgeſezt: oder ich finde auf jeder Seite Dinge,
die ſich gar nicht in der Ordnung einer bildenden
Sprache zutragen konnten. Er ſezt zum Grunde
ſeiner Hypotheſe: „zwei Kinder, in eine Wuͤſte,
„ehe ſie den Gebrauch irgend eines Zeichens ken-
„nen.„ Warum er nun dies alles ſetze: „zwei
„Kinder,„ die alſo umkommen, oder Thier wer-
den muͤſſen, „in eine Wuͤſte,„ wo ſich die
Schwuͤhrigkeit ihres Unterhalts und ihrer Erfin-
dung noch vermehret: „vor dem Gebrauch jedes
„natuͤrlichen Zeichens, und gar vor aller Kaͤnnt-
„niß deſſelben,„ ohne welche doch kein Saͤugling
nach wenigen Wochen ſeiner Geburt iſt — warum,
ſage ich, in einer Hypotheſe, die dem Naturgange
menſchlicher Kaͤnntniß nachſpuͤhren ſoll, ſolche un-
natuͤrliche, ſich wiederſprechende Data zum Grunde
gelegt werden muͤſſen, mag ihr Verfaſſer wiſſen;
daß aber auf ſie keine Erklaͤrung des Urſprungs der
Sprache gebauet ſey, getraue ich mich zu erweiſen.
Seine beiden Kinder kommen ohne Kaͤnntniß je-
des Zeichens zuſammen, und — ſiehe da! im er-
ſten Augenblicke (§. 2.) „ſind ſie ſchon im gegenſei-
„tigen Commerz.„ Und doch blos durch dies ge-

genſei-
B 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0031" n="25"/>
ausge&#x017F;ezt: oder ich finde auf jeder Seite Dinge,<lb/>
die &#x017F;ich gar nicht in der Ordnung einer bildenden<lb/>
Sprache zutragen konnten. Er &#x017F;ezt zum Grunde<lb/>
&#x017F;einer Hypothe&#x017F;e: &#x201E;zwei Kinder, in eine Wu&#x0364;&#x017F;te,<lb/>
&#x201E;ehe &#x017F;ie den Gebrauch irgend eines Zeichens ken-<lb/>
&#x201E;nen.&#x201E; Warum er nun dies alles &#x017F;etze: &#x201E;zwei<lb/>
&#x201E;Kinder,&#x201E; die al&#x017F;o umkommen, oder Thier wer-<lb/>
den mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, &#x201E;in eine Wu&#x0364;&#x017F;te,&#x201E; wo &#x017F;ich die<lb/>
Schwu&#x0364;hrigkeit ihres Unterhalts und ihrer Erfin-<lb/>
dung noch vermehret: &#x201E;vor dem Gebrauch jedes<lb/>
&#x201E;natu&#x0364;rlichen Zeichens, und gar vor aller Ka&#x0364;nnt-<lb/>
&#x201E;niß de&#x017F;&#x017F;elben,&#x201E; ohne welche doch kein Sa&#x0364;ugling<lb/>
nach wenigen Wochen &#x017F;einer Geburt i&#x017F;t &#x2014; warum,<lb/>
&#x017F;age ich, in einer Hypothe&#x017F;e, die dem Naturgange<lb/>
men&#x017F;chlicher Ka&#x0364;nntniß nach&#x017F;pu&#x0364;hren &#x017F;oll, &#x017F;olche un-<lb/>
natu&#x0364;rliche, &#x017F;ich wieder&#x017F;prechende Data zum Grunde<lb/>
gelegt werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, mag ihr Verfa&#x017F;&#x017F;er wi&#x017F;&#x017F;en;<lb/>
daß aber auf &#x017F;ie keine Erkla&#x0364;rung des Ur&#x017F;prungs der<lb/>
Sprache gebauet &#x017F;ey, getraue ich mich zu erwei&#x017F;en.<lb/>
Seine beiden Kinder kommen ohne Ka&#x0364;nntniß je-<lb/>
des Zeichens zu&#x017F;ammen, und &#x2014; &#x017F;iehe da! im er-<lb/>
&#x017F;ten Augenblicke (§. 2.) &#x201E;&#x017F;ind &#x017F;ie &#x017F;chon im gegen&#x017F;ei-<lb/>
&#x201E;tigen Commerz.&#x201E; Und doch blos durch dies ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B 5</fw><fw place="bottom" type="catch">gen&#x017F;ei-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[25/0031] ausgeſezt: oder ich finde auf jeder Seite Dinge, die ſich gar nicht in der Ordnung einer bildenden Sprache zutragen konnten. Er ſezt zum Grunde ſeiner Hypotheſe: „zwei Kinder, in eine Wuͤſte, „ehe ſie den Gebrauch irgend eines Zeichens ken- „nen.„ Warum er nun dies alles ſetze: „zwei „Kinder,„ die alſo umkommen, oder Thier wer- den muͤſſen, „in eine Wuͤſte,„ wo ſich die Schwuͤhrigkeit ihres Unterhalts und ihrer Erfin- dung noch vermehret: „vor dem Gebrauch jedes „natuͤrlichen Zeichens, und gar vor aller Kaͤnnt- „niß deſſelben,„ ohne welche doch kein Saͤugling nach wenigen Wochen ſeiner Geburt iſt — warum, ſage ich, in einer Hypotheſe, die dem Naturgange menſchlicher Kaͤnntniß nachſpuͤhren ſoll, ſolche un- natuͤrliche, ſich wiederſprechende Data zum Grunde gelegt werden muͤſſen, mag ihr Verfaſſer wiſſen; daß aber auf ſie keine Erklaͤrung des Urſprungs der Sprache gebauet ſey, getraue ich mich zu erweiſen. Seine beiden Kinder kommen ohne Kaͤnntniß je- des Zeichens zuſammen, und — ſiehe da! im er- ſten Augenblicke (§. 2.) „ſind ſie ſchon im gegenſei- „tigen Commerz.„ Und doch blos durch dies ge- genſei- B 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/31
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/31>, abgerufen am 22.11.2024.