einer Sprache von einem Einzelnen bis zu einem Familienmenschen schon in sehr zusam- mengeseztem Verhältniß: Alles andre abgerech- net, wie wenig würde doch der Einsame, selbst der einsame Sprachenphilosoph auf seiner wüsten Jnsel erfinden! Wie viel mehr und stärker der Stammvater, der Familienmann. Die Natur hat also diese Fortbildung gewählet.
II. Eine einzelne, abgetrennte Familie, denkt man, wird ihre Sprache, bei Bequemlichkeit und Muße mehr ausbilden können, als bei Zer- streuungen, Krieg gegen einen andern Stamm u. s. w. allein nichts weniger. Je mehr sie gegen andre gekehrt ist, desto stärker wird sie in sich zu- sammengedrängt: desto mehr sezt sie sich auf ihre Wurzel, macht die Thaten ihrer Vorfahren zu Liedern, zu Aufrufungen, zu ewigen Denkmalen: erhält dieses Sprachandenken um desto reiner und patriotischer -- die Fortbildung der Sprache, als Mundart der Väter, geht desto stärker fort: darum hat die Natur diese Fortbildung gewählet.
III. Mit der Zeit aber sezt sich dieser Stamm, wenn er in eine kleine Nation angewachsen ist "auch in seinem Cirkel fest. Er hat seinen ge-
meßnen
einer Sprache von einem Einzelnen bis zu einem Familienmenſchen ſchon in ſehr zuſam- mengeſeztem Verhaͤltniß: Alles andre abgerech- net, wie wenig wuͤrde doch der Einſame, ſelbſt der einſame Sprachenphiloſoph auf ſeiner wuͤſten Jnſel erfinden! Wie viel mehr und ſtaͤrker der Stammvater, der Familienmann. Die Natur hat alſo dieſe Fortbildung gewaͤhlet.
II. Eine einzelne, abgetrennte Familie, denkt man, wird ihre Sprache, bei Bequemlichkeit und Muße mehr ausbilden koͤnnen, als bei Zer- ſtreuungen, Krieg gegen einen andern Stamm u. ſ. w. allein nichts weniger. Je mehr ſie gegen andre gekehrt iſt, deſto ſtaͤrker wird ſie in ſich zu- ſammengedraͤngt: deſto mehr ſezt ſie ſich auf ihre Wurzel, macht die Thaten ihrer Vorfahren zu Liedern, zu Aufrufungen, zu ewigen Denkmalen: erhaͤlt dieſes Sprachandenken um deſto reiner und patriotiſcher — die Fortbildung der Sprache, als Mundart der Vaͤter, geht deſto ſtaͤrker fort: darum hat die Natur dieſe Fortbildung gewaͤhlet.
III. Mit der Zeit aber ſezt ſich dieſer Stamm, wenn er in eine kleine Nation angewachſen iſt „auch in ſeinem Cirkel feſt. Er hat ſeinen ge-
meßnen
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einer Sprache von einem Einzelnen bis zu
einem Familienmenſchen ſchon in ſehr zuſam-
mengeſeztem Verhaͤltniß: Alles andre abgerech-
net, wie wenig wuͤrde doch der Einſame, ſelbſt
der einſame Sprachenphiloſoph auf ſeiner wuͤſten
Jnſel erfinden! Wie viel mehr und ſtaͤrker der
Stammvater, der Familienmann. Die Natur
hat alſo dieſe Fortbildung gewaͤhlet.
II. Eine einzelne, abgetrennte Familie,
denkt man, wird ihre Sprache, bei Bequemlichkeit
und Muße mehr ausbilden koͤnnen, als bei Zer-
ſtreuungen, Krieg gegen einen andern Stamm
u. ſ. w. allein nichts weniger. Je mehr ſie gegen
andre gekehrt iſt, deſto ſtaͤrker wird ſie in ſich zu-
ſammengedraͤngt: deſto mehr ſezt ſie ſich auf ihre
Wurzel, macht die Thaten ihrer Vorfahren zu
Liedern, zu Aufrufungen, zu ewigen Denkmalen:
erhaͤlt dieſes Sprachandenken um deſto reiner und
patriotiſcher — die Fortbildung der Sprache,
als Mundart der Vaͤter, geht deſto ſtaͤrker
fort: darum hat die Natur dieſe Fortbildung
gewaͤhlet.
III. Mit der Zeit aber ſezt ſich dieſer Stamm,
wenn er in eine kleine Nation angewachſen iſt
„auch in ſeinem Cirkel feſt. Er hat ſeinen ge-
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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/220>, abgerufen am 22.07.2024.
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