Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite

zehnfach ärgerer Gefahren zu machen? Der Fall
wagender Unvorsichtigkeit, ist nicht blos überall
derselbe; sondern er wird auch mit jeder Verviel-
fältigung unendlich vermehrt. Ein Menschen-
paar, irgendwo, im besten, bequemsten Clima
der Erde, wo die Jahreszeit ihrer Naktheit am
wenigsten strenge ist, wo der fruchtbare Boden
den Bedürfnissen ihrer Unerfahrenheit von selbst
zu statten kommt, wo gleichsam alles umhergela-
gert ist wie eine Werkstätte, um der Kindheit
ihrer Künste zu Hülfe zu kommen -- ist dies
Paar nicht weiser versorgt, als jedes andre mensch-
liche Landthier, was unter dem unfreundlichsten
Himmel in Lappland oder Grönland, mit der
ganzen Dürftigkeit der nakten erfrornen Natur
umgeben, den Klauen eben so dürftiger, hungriger,
und um so grausamerer Thiere, mithin unendlich
mehrern Ungemächlichkeiten ausgesezt ist? Die Si-
cherheit der Erhaltung nimmt also ab, je mehr die
ursprünglichen Erdemenschen verdoppelt werden.
Und denn wie lange bleibt das Paar im seligern
Clima Ein Paar? Es wird bald Familie, bald
kleines Volk, nnd wenn es sich nun, als Volk

aus-

zehnfach aͤrgerer Gefahren zu machen? Der Fall
wagender Unvorſichtigkeit, iſt nicht blos uͤberall
derſelbe; ſondern er wird auch mit jeder Verviel-
faͤltigung unendlich vermehrt. Ein Menſchen-
paar, irgendwo, im beſten, bequemſten Clima
der Erde, wo die Jahreszeit ihrer Naktheit am
wenigſten ſtrenge iſt, wo der fruchtbare Boden
den Beduͤrfniſſen ihrer Unerfahrenheit von ſelbſt
zu ſtatten kommt, wo gleichſam alles umhergela-
gert iſt wie eine Werkſtaͤtte, um der Kindheit
ihrer Kuͤnſte zu Huͤlfe zu kommen — iſt dies
Paar nicht weiſer verſorgt, als jedes andre menſch-
liche Landthier, was unter dem unfreundlichſten
Himmel in Lappland oder Groͤnland, mit der
ganzen Duͤrftigkeit der nakten erfrornen Natur
umgeben, den Klauen eben ſo duͤrftiger, hungriger,
und um ſo grauſamerer Thiere, mithin unendlich
mehrern Ungemaͤchlichkeiten ausgeſezt iſt? Die Si-
cherheit der Erhaltung nimmt alſo ab, je mehr die
urſpruͤnglichen Erdemenſchen verdoppelt werden.
Und denn wie lange bleibt das Paar im ſeligern
Clima Ein Paar? Es wird bald Familie, bald
kleines Volk, nnd wenn es ſich nun, als Volk

aus-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0214" n="208"/>
zehnfach a&#x0364;rgerer Gefahren zu machen? Der Fall<lb/>
wagender Unvor&#x017F;ichtigkeit, i&#x017F;t nicht blos u&#x0364;berall<lb/><hi rendition="#fr">der&#x017F;elbe;</hi> &#x017F;ondern er wird auch mit jeder Verviel-<lb/>
fa&#x0364;ltigung <hi rendition="#fr">unendlich vermehrt.</hi> Ein Men&#x017F;chen-<lb/>
paar, irgendwo, im be&#x017F;ten, bequem&#x017F;ten Clima<lb/>
der Erde, wo die Jahreszeit ihrer Naktheit am<lb/>
wenig&#x017F;ten &#x017F;trenge i&#x017F;t, wo der fruchtbare Boden<lb/>
den Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;en ihrer Unerfahrenheit von &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
zu &#x017F;tatten kommt, wo gleich&#x017F;am alles umhergela-<lb/>
gert i&#x017F;t wie eine Werk&#x017F;ta&#x0364;tte, um der Kindheit<lb/>
ihrer Ku&#x0364;n&#x017F;te zu Hu&#x0364;lfe zu kommen &#x2014; i&#x017F;t dies<lb/>
Paar nicht wei&#x017F;er ver&#x017F;orgt, als jedes andre men&#x017F;ch-<lb/>
liche Landthier, was unter dem unfreundlich&#x017F;ten<lb/>
Himmel in <hi rendition="#fr">Lappland</hi> oder <hi rendition="#fr">Gro&#x0364;nland,</hi> mit der<lb/>
ganzen Du&#x0364;rftigkeit der nakten erfrornen Natur<lb/>
umgeben, den Klauen eben &#x017F;o du&#x0364;rftiger, hungriger,<lb/>
und um &#x017F;o grau&#x017F;amerer Thiere, mithin unendlich<lb/>
mehrern Ungema&#x0364;chlichkeiten ausge&#x017F;ezt i&#x017F;t? Die Si-<lb/>
cherheit der Erhaltung nimmt al&#x017F;o ab, je mehr die<lb/>
ur&#x017F;pru&#x0364;nglichen Erdemen&#x017F;chen verdoppelt werden.<lb/>
Und denn wie lange bleibt das Paar im &#x017F;eligern<lb/>
Clima Ein Paar? Es wird bald Familie, bald<lb/>
kleines Volk, nnd wenn es &#x017F;ich nun, als Volk<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">aus-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[208/0214] zehnfach aͤrgerer Gefahren zu machen? Der Fall wagender Unvorſichtigkeit, iſt nicht blos uͤberall derſelbe; ſondern er wird auch mit jeder Verviel- faͤltigung unendlich vermehrt. Ein Menſchen- paar, irgendwo, im beſten, bequemſten Clima der Erde, wo die Jahreszeit ihrer Naktheit am wenigſten ſtrenge iſt, wo der fruchtbare Boden den Beduͤrfniſſen ihrer Unerfahrenheit von ſelbſt zu ſtatten kommt, wo gleichſam alles umhergela- gert iſt wie eine Werkſtaͤtte, um der Kindheit ihrer Kuͤnſte zu Huͤlfe zu kommen — iſt dies Paar nicht weiſer verſorgt, als jedes andre menſch- liche Landthier, was unter dem unfreundlichſten Himmel in Lappland oder Groͤnland, mit der ganzen Duͤrftigkeit der nakten erfrornen Natur umgeben, den Klauen eben ſo duͤrftiger, hungriger, und um ſo grauſamerer Thiere, mithin unendlich mehrern Ungemaͤchlichkeiten ausgeſezt iſt? Die Si- cherheit der Erhaltung nimmt alſo ab, je mehr die urſpruͤnglichen Erdemenſchen verdoppelt werden. Und denn wie lange bleibt das Paar im ſeligern Clima Ein Paar? Es wird bald Familie, bald kleines Volk, nnd wenn es ſich nun, als Volk aus-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/214
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/214>, abgerufen am 04.05.2024.