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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772.

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stand seines besten Preises beraubt, zu wachsen.
Was für Grund hätte ich um irgendwo in der
Kette stille zu stehen, und nicht, so lange ich den-
selben Plan wahrnehme, auch auf die Sprache
hinaufzuschließen? Kam ich auf die Welt, um
sogleich in den Unterricht der Meinigen eintreten zu
müssen; so mein Vater, so der erste Sohn des
ersten Stammvaters
auch, und wie ich meine
Gedanken um mich und in meine Abfolge breite:
so mein Vater, so sein Stammvater; so der Erste
aller Väter. Die Kette reicht fort und steht nur
"bei Einem, dem Ersten" stille: so sind wir
alle seine Söhne: von ihm fängt sich Geschlecht,
Unterricht, Sprache an: Er hat zu erfinden an-
gefangen; wir alle haben ihm nacherfunden, bil-
den und mißbilden. Kein Gedanke in einer
menschlichen Seele war verloren; nie aber war
auch Eine Fertigkeit dieses Geschlechts auf Einmal
ganz da, wie bei den Thieren: "Zufolge der
"ganzen Oekonomie
" war sie immer im Fort-
schritte,
im Gange: nichts Erfundnes, wie der
Bau einer Zelle, sondern alles im Erfinden, im
Fortwürken, strebend. Jn diesem Gesichtspunkt

wie

ſtand ſeines beſten Preiſes beraubt, zu wachſen.
Was fuͤr Grund haͤtte ich um irgendwo in der
Kette ſtille zu ſtehen, und nicht, ſo lange ich den-
ſelben Plan wahrnehme, auch auf die Sprache
hinaufzuſchließen? Kam ich auf die Welt, um
ſogleich in den Unterricht der Meinigen eintreten zu
muͤſſen; ſo mein Vater, ſo der erſte Sohn des
erſten Stammvaters
auch, und wie ich meine
Gedanken um mich und in meine Abfolge breite:
ſo mein Vater, ſo ſein Stammvater; ſo der Erſte
aller Vaͤter. Die Kette reicht fort und ſteht nur
„bei Einem, dem Erſten„ ſtille: ſo ſind wir
alle ſeine Soͤhne: von ihm faͤngt ſich Geſchlecht,
Unterricht, Sprache an: Er hat zu erfinden an-
gefangen; wir alle haben ihm nacherfunden, bil-
den und mißbilden. Kein Gedanke in einer
menſchlichen Seele war verloren; nie aber war
auch Eine Fertigkeit dieſes Geſchlechts auf Einmal
ganz da, wie bei den Thieren: „Zufolge der
„ganzen Oekonomie
„ war ſie immer im Fort-
ſchritte,
im Gange: nichts Erfundnes, wie der
Bau einer Zelle, ſondern alles im Erfinden, im
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[206/0212] ſtand ſeines beſten Preiſes beraubt, zu wachſen. Was fuͤr Grund haͤtte ich um irgendwo in der Kette ſtille zu ſtehen, und nicht, ſo lange ich den- ſelben Plan wahrnehme, auch auf die Sprache hinaufzuſchließen? Kam ich auf die Welt, um ſogleich in den Unterricht der Meinigen eintreten zu muͤſſen; ſo mein Vater, ſo der erſte Sohn des erſten Stammvaters auch, und wie ich meine Gedanken um mich und in meine Abfolge breite: ſo mein Vater, ſo ſein Stammvater; ſo der Erſte aller Vaͤter. Die Kette reicht fort und ſteht nur „bei Einem, dem Erſten„ ſtille: ſo ſind wir alle ſeine Soͤhne: von ihm faͤngt ſich Geſchlecht, Unterricht, Sprache an: Er hat zu erfinden an- gefangen; wir alle haben ihm nacherfunden, bil- den und mißbilden. Kein Gedanke in einer menſchlichen Seele war verloren; nie aber war auch Eine Fertigkeit dieſes Geſchlechts auf Einmal ganz da, wie bei den Thieren: „Zufolge der „ganzen Oekonomie„ war ſie immer im Fort- ſchritte, im Gange: nichts Erfundnes, wie der Bau einer Zelle, ſondern alles im Erfinden, im Fortwuͤrken, ſtrebend. Jn dieſem Geſichtspunkt wie

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/212>, abgerufen am 24.11.2024.