je weniger man daran gedacht hat, sie in Buchsta- ben zu fassen, je ursprünglicher sie zum vollen, unausgesonderten Laute der Natur hinaufsteigt, desto minder ist sie auch schreibbar, desto minder mit zwanzig Buchstaben schreibbar; ja oft für Fremdlinge ganz unaussprechlich. Der P. Rasles, der sich zehn Jahr unter den Abenakiern in Nord- amerika aufgehalten, klagt hierüber so sehr, daß er mit aller Aufmerksamkeit doch oft nur die Hälfte des Worts wiederholet und sich lächerlich gemacht -- wie weit lächerlicher hätte er mit seinen französi- schen Buchstaben beziffert? Der P. Chaumont, der 50 Jahr unter den Huronen zugebracht, und sich an eine Grammatik ihrer Sprache gewagt, klagt dem ohngeachtet über ihre Kehlbuchstaben und ihre unaussprechlichen Accente: "oft hätten zwei "Wörter, die ganz aus einerlei Buchstaben bestün- "den, die verschiedensten Bedeutungen." Gar- cilasso di Vega, beklagt sich über die Spanier, wie sehr sie die Peruanische Sprache im Laute der Wörter verstellet, verstümmelt, verfälscht und aus bloßen Verfälschungen den Peruanern das schlimm- ste Zeug angedichtet. De la Condamine sagt von
einer
je weniger man daran gedacht hat, ſie in Buchſta- ben zu faſſen, je urſpruͤnglicher ſie zum vollen, unausgeſonderten Laute der Natur hinaufſteigt, deſto minder iſt ſie auch ſchreibbar, deſto minder mit zwanzig Buchſtaben ſchreibbar; ja oft fuͤr Fremdlinge ganz unausſprechlich. Der P. Rasles, der ſich zehn Jahr unter den Abenakiern in Nord- amerika aufgehalten, klagt hieruͤber ſo ſehr, daß er mit aller Aufmerkſamkeit doch oft nur die Haͤlfte des Worts wiederholet und ſich laͤcherlich gemacht — wie weit laͤcherlicher haͤtte er mit ſeinen franzoͤſi- ſchen Buchſtaben beziffert? Der P. Chaumont, der 50 Jahr unter den Huronen zugebracht, und ſich an eine Grammatik ihrer Sprache gewagt, klagt dem ohngeachtet uͤber ihre Kehlbuchſtaben und ihre unausſprechlichen Accente: „oft haͤtten zwei „Woͤrter, die ganz aus einerlei Buchſtaben beſtuͤn- „den, die verſchiedenſten Bedeutungen.„ Gar- cilaſſo di Vega, beklagt ſich uͤber die Spanier, wie ſehr ſie die Peruaniſche Sprache im Laute der Woͤrter verſtellet, verſtuͤmmelt, verfaͤlſcht und aus bloßen Verfaͤlſchungen den Peruanern das ſchlimm- ſte Zeug angedichtet. De la Condamine ſagt von
einer
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je weniger man daran gedacht hat, ſie in Buchſta-
ben zu faſſen, je urſpruͤnglicher ſie zum vollen,
unausgeſonderten Laute der Natur hinaufſteigt,
deſto minder iſt ſie auch ſchreibbar, deſto minder
mit zwanzig Buchſtaben ſchreibbar; ja oft fuͤr
Fremdlinge ganz unausſprechlich. Der P. Rasles,
der ſich zehn Jahr unter den Abenakiern in Nord-
amerika aufgehalten, klagt hieruͤber ſo ſehr, daß er
mit aller Aufmerkſamkeit doch oft nur die Haͤlfte
des Worts wiederholet und ſich laͤcherlich gemacht —
wie weit laͤcherlicher haͤtte er mit ſeinen franzoͤſi-
ſchen Buchſtaben beziffert? Der P. Chaumont,
der 50 Jahr unter den Huronen zugebracht, und
ſich an eine Grammatik ihrer Sprache gewagt,
klagt dem ohngeachtet uͤber ihre Kehlbuchſtaben und
ihre unausſprechlichen Accente: „oft haͤtten zwei
„Woͤrter, die ganz aus einerlei Buchſtaben beſtuͤn-
„den, die verſchiedenſten Bedeutungen.„ Gar-
cilaſſo di Vega, beklagt ſich uͤber die Spanier,
wie ſehr ſie die Peruaniſche Sprache im Laute der
Woͤrter verſtellet, verſtuͤmmelt, verfaͤlſcht und aus
bloßen Verfaͤlſchungen den Peruanern das ſchlimm-
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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/20>, abgerufen am 22.07.2024.
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