Das war nur Aussprache. Aber Worte selbst, Sinn, Seele der Sprache -- welch ein unendliches Feld von Verschiedenheiten. Wir ha- ben gesehen, wie die ältesten Sprachen voller Sy- nonyme haben werden müssen, und wenn nun von diesen Synonymen dem Einen dies, dem andern jenes geläufiger, seinem Sehepunkt angemessner, seinem Empfindungskreise ursprünglicher, in seiner Lebensbahn öfter vorkommend, kurz von mehrerm Eindruck auf ihn wurde; so gabs Lieblings- worte, eigne Worte, Jdiotismen, ein Jdiom der Sprache.
Bei jenem ging jenes Wort aus; das blieb. Jenes ward durch einen Nebengesichtspunkt von der Hauptsache weggebogen; hier veränderte sich mit der Zeitfolge der Geist des Hauptbegrifs selbst -- da wurden also eigne Biegungen, Ab- leitungen, Veränderungen, Vor- und Zu- sätze und Versetzungen und Wegnahmen von ganzen und halben Bedeutungen -- ein neues Jdiom! und das alles so natürlich, als Sprache dem Menschen Sinn seiner Seele ist.
Je
Das war nur Ausſprache. Aber Worte ſelbſt, Sinn, Seele der Sprache — welch ein unendliches Feld von Verſchiedenheiten. Wir ha- ben geſehen, wie die aͤlteſten Sprachen voller Sy- nonyme haben werden muͤſſen, und wenn nun von dieſen Synonymen dem Einen dies, dem andern jenes gelaͤufiger, ſeinem Sehepunkt angemeſſner, ſeinem Empfindungskreiſe urſpruͤnglicher, in ſeiner Lebensbahn oͤfter vorkommend, kurz von mehrerm Eindruck auf ihn wurde; ſo gabs Lieblings- worte, eigne Worte, Jdiotiſmen, ein Jdiom der Sprache.
Bei jenem ging jenes Wort aus; das blieb. Jenes ward durch einen Nebengeſichtspunkt von der Hauptſache weggebogen; hier veraͤnderte ſich mit der Zeitfolge der Geiſt des Hauptbegrifs ſelbſt — da wurden alſo eigne Biegungen, Ab- leitungen, Veraͤnderungen, Vor- und Zu- ſaͤtze und Verſetzungen und Wegnahmen von ganzen und halben Bedeutungen — ein neues Jdiom! und das alles ſo natuͤrlich, als Sprache dem Menſchen Sinn ſeiner Seele iſt.
Je
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Das war nur Ausſprache. Aber Worte
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unendliches Feld von Verſchiedenheiten. Wir ha-
ben geſehen, wie die aͤlteſten Sprachen voller Sy-
nonyme haben werden muͤſſen, und wenn nun von
dieſen Synonymen dem Einen dies, dem andern
jenes gelaͤufiger, ſeinem Sehepunkt angemeſſner,
ſeinem Empfindungskreiſe urſpruͤnglicher, in ſeiner
Lebensbahn oͤfter vorkommend, kurz von mehrerm
Eindruck auf ihn wurde; ſo gabs Lieblings-
worte, eigne Worte, Jdiotiſmen, ein Jdiom
der Sprache.
Bei jenem ging jenes Wort aus; das blieb.
Jenes ward durch einen Nebengeſichtspunkt von
der Hauptſache weggebogen; hier veraͤnderte ſich
mit der Zeitfolge der Geiſt des Hauptbegrifs
ſelbſt — da wurden alſo eigne Biegungen, Ab-
leitungen, Veraͤnderungen, Vor- und Zu-
ſaͤtze und Verſetzungen und Wegnahmen von
ganzen und halben Bedeutungen — ein neues
Jdiom! und das alles ſo natuͤrlich, als Sprache
dem Menſchen Sinn ſeiner Seele iſt.
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Herder, Johann Gottfried von: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. Berlin, 1772, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_abhandlung_1772/195>, abgerufen am 16.02.2025.
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